Leitsatz (amtlich)
Lässt das Gericht auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen die konkrete Geschwindigkeitsmessung durch einen Sachverständigen überprüfen, kann sich der Anspruch auf Einsicht in nicht zum Aktenbestandteil gewordene Unterlagen und Daten zu der Messung regelmäßig nur unter dem Gesichtspunkt der Auseinandersetzung mit dem eingeholten Gutachten ergeben. Eine entsprechende Verfahrensrüge greift allerdings nur dann durch, wenn die persönliche Vernehmung des Sachverständigen beantragt und dieser zu dem ihm bekannten Inhalt der Unterlagen und Daten, deren Beiziehung für erforderlich gehalten wird, befragt worden ist (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 07.01.2021 - 1 OWi 2 SsBs 98/20).
Verfahrensgang
AG Kaiserslautern (Entscheidung vom 19.07.2021; Aktenzeichen 4 OWi 6070 Js 24444/20) |
Tenor
- Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 19.07.2021 wird als unbegründet verworfen.
- Dem Beschwerdeführer werden die Kosten seines Rechtsmittels auferlegt.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen auf dessen in form- und fristgerechter Weise erhobenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 14.09.2020 (Az. 05.0009150.9) wegen fahrlässigen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 39 km/h zu einer Geldbuße von 120 EUR verurteilt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der durch den Einzelrichter mit Beschluss vom heutigen Tag zugelassen Rechtsbeschwerde.
Der Einzelrichter hat die Sache gem. § 80a Abs. 3 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Die Rechtsbeschwerde dringt in der Sache nicht durch.
I.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 12.07.2020 die BAB 63 in der Gemarkung Mehlingen als Fahrer eines PKWs in Fahrtrichtung Kaiserslautern, wobei er die dort mittels Verkehrszeichen angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um - toleranzbereinigte - 39 km/h überschritt. Die Messung wurde mit dem Messgerät PoliScan FM 1 (Softwareversion 4.4.5) vorgenommen.
II.
1.
Die - nicht weiter ausgeführte - Sachrüge des Betroffenen ist nicht begründet; die darauf veranlasste umfassende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen den Betroffenen benachteiligenden Rechtsfehler erbracht.
An der Wirksamkeit des Bußgeldbescheides bestehen auch unter Beachtung des Umstandes einer elektronischen Aktenführung durch die Verwaltungsbehörde keine Zweifel. Der Senat folgt (weiterhin) der Rechtsauffassung des OLG Koblenz (Beschluss vom 17.07.2018 - 1 OWi 6 SsBs 19/18, juris Rn. 6 ff.), wonach die Verwaltungsbehörde spätestens mit vollständigem Ausdruck der gespeicherten Verfahrensunterlagen zu einer Aktenführung in Papierform übergegangen ist. Die Ausdrucke bilden eine ausreichende Grundlage des weiteren Verwaltungs- und des gerichtlichen Verfahrens. Der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 19.11.2019 (VGH B 24/19, juris) kann ebenso wie der mittlerweile in Kraft getretenen LVO über die elektronische Aktenführung in behördlichen Bußgeldverfahren der Zentralen Bußgeldstelle vom 06.05.2021 (GVBl. 2021, 282) nichts Gegenteiliges entnommen werden.
2.
Soweit der Betroffene in der Verwertung des Messergebnisses einen Verstoß gegen sein Recht auf ein faires Verfahren bzw. einen Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot aufgrund nicht gespeicherter (Rohmess-)Daten moniert, ist die Rüge unbegründet. Der Senat hat bereits wiederholt entschieden (vgl. ZfS 2022, 110), dass der Betroffene durch die fehlende Speicherung sog. Rohmessdaten und Hilfsgrößen nicht in seinen Verteidigungsrechten unfair beeinträchtigt wird. Dies entspricht - soweit ersichtlich - auch der Rechtsansicht sämtlicher Oberlandesgerichte außerhalb des Saarlandes (vgl. die Nachweise in Senat, ZfS 2022, 110, 112). Vor diesem Hintergrund kann auch die Rüge, der Bußgeldrichter habe das Messergebnis gegen den in der Hauptverhandlung erhobenen Widerspruch nicht verwerten und den damit verbundenen Aussetzungsantrag nicht ablehnen dürfen, nicht durchdringen.
3.
Auch die Rüge, dem Betroffenen seien "die gesamte Messreihe" und die Aufbaueinleitung des Trailers nicht zur Verfügung gestellt und dadurch sein Anspruch auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren verletzt sowie seine Verteidigung in unzulässiger Weise beschränkt worden, greift im Ergebnis nicht durch. Soweit der Betroffene im Verfahren darüber hinausgehend vergeblich die Einsichtnahme bzw. Überlassung noch weiterer Unterlagen begehrt hatte, hat er dies nicht zum Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens gemacht.
a) Der Rüge liegt folgendes Prozessgeschehen zu Grunde:
Die vorgerichtlich tätige Verteidigerin des Betroffenen hatte gegenüber der Verwaltungsbehörde beantragt, ihr verschiedene Unterlagen und Dateien, u.a. die "digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe inklusive Rohmessdaten" sowie "Aufbau- bzw. Einbauvorschriften der Firma Vitronic für das Messgerät PoliScan FM 1 bei Verwendung in einem Trailer ...