Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollstreckbarerklärung eines belgischen Versäumnisurteils
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Vollstreckbarerklärung eines in Belgien ergangenen Versäumnisurteils, wenn dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht und das daraufhin ergangene Versäumnisurteil öffentlich zugestellt wurde.
Normenkette
EuGVO Art. 34 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
LG Kaiserslautern (Beschluss vom 21.05.2004; Aktenzeichen 4 O 370/04) |
Tenor
I. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Der Antrag der Antragstellerin auf Vollstreckbarerklärung des Urteils der 1. Kammer des Handelsgerichts Mechelen vom 30.4.2003 (Rep. 2003/1647; Rollennr. A/03/976) wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf bis zu 75.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin will aus einem Versäumnisurteil des Handelsgerichts Mechelen (Rep. 2003/1647; Rollennr. A/03/976) vom 30.4.2003 vollstrecken. Darin wurde die Antragsgegnerin zur Zahlung von 66.514,86 EUR zzgl. 6.651,49 EUR Konventionalstrafe, zzgl. 10 % Verzugszinsen im Jahr aus den jeweiligen Rechnungsbeträgen ab den jeweiligen Rechnungsdaten bis zum Tage der Vorladung sowie gerichtliche Zinsen aus 66.514,86 EUR ab dem Datum des Antrages und Kosten i.H.v. 775,17 EUR verurteilt.
Die Antragsgegnerin hat sich auf das Verfahren vor dem belgischen Gericht nicht eingelassen. Die "Vorladung" der Antragsgegnerin vor die Kammer des Handelsgerichts zur Verhandlung der Sache ("Dagvaarding") hat der Gerichtsvollzieher (Übermittlungsstelle) am 3.3.2003 dem Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz (Zentralstelle) zum Zweck der Zustellung übermittelt. Der Rechtspfleger beim AG Kaiserslautern hat der Übermittlungsstelle gem. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (EG-ZustellVO) am 7.5.2003 mitgeteilt, dass die Zustellung der "Vorladung" nicht binnen einem Monat nach Erhalt des Schriftstückes vorgenommen werden konnte, da Firma und Sitz der Antragsgegnerin noch ermittelt werden müssten. Das Versäumnisurteil des Handelsgerichts Mechelen gegen die Antragsgegnerin war bereits am 30.4.2003 ergangen. Am 5.6.2003 übermittelte der Gerichtsvollzieher das Versäumnisurteil zur Zustellung an das Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz. Die Zustellung erfolgte im Wege der öffentlichen Zustellung durch das AG Kaiserslautern am 10.3.2004.
Der Vorsitzende der 4. Zivilkammer des LG Kaiserslautern hat auf Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 21.5.2004 angeordnet, dass das Urteil der 1. Kammer des Handelsgerichts Mechelen vom 30.4.2003 mit der Vollstreckungsklausel zu versehen sei. Dem hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle entsprochen. Die Ausfertigung des Beschlusses vom 21.5.2004 und der Vollstreckungsklausel vom 15.7.2004 einschließlich des Versäumnisurteils sind der Antragsgegnerin am 17.7.2004 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 3.8.2004 hat die Antragsgegnerin gegen den Beschluss vom 21.5.2004 Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, sie habe weder den das Verfahren einleitenden Schriftsatz erhalten, noch habe sie Kenntnis von dem gegen sie ergangenen Versäumnisurteil gehabt.
II. 1. Das Rechtsmittel ist nach Art. 43 EuGVO i.V.m. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2b, 11 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (AVAG) vom 19.2.2001 i.d.F. vom 30.1.2002 statthaft.
Der Einholung einer Abhilfeentscheidung des LG vor der Entscheidung durch den Senat bedarf es nicht, da eine Befugnis für das die Vollstreckung zulassende Gericht zur Abhilfe einer gegen seine Entscheidung gerichteten Beschwerde nach allgemeiner Ansicht nicht besteht (BT-Drucks. 11/351, 22; Zöller/Geimer, ZPO, 24. Aufl., § 11 Rz. 4; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Art. 43 EuGVO Rz. 10; OLG München NJW 1975, 504; OLG Zweibrücken in st. Rspr., beispielsweise OLG Zweibrücken v. 8.12.2003 - 3 W 217/03, OLGReport Zweibrücken 2004, 260; OLG Köln NJOZ 2004, 3367 [3369]).
Die Entscheidung des Senats ergeht in voller Besetzung des Spruchkörpers, weil der Vorsitzende der Zivilkammer den angefochtenen Beschluss gem. § 3 Abs. 3 AVAG nicht als erstinstanzlicher "Einzelrichter" i.S.d. § 568 ZPO erlassen hat, sondern kraft besonderer Zuständigkeitsverweisung auf der Grundlage innerstaatlich geltenden Abkommensrechts bzw. unmittelbar geltenden EG-Verordnungsrechts entscheidet (OLG Zweibrücken in st. Rspr., vgl. Beschl. v. 20.2.2004 - 3 W 157/03; Beschl. v. 15.12.2004 - 3 W 207/04, OLGReport Zweibrücken 2005, 222; OLG Stuttgart OLGReport Stuttgart 2003, 102; OLG Köln IPrax 2003, 354).
2. In der Sache führt das Rechtsmittel zum Erfolg.
Der Vollstreckbarerklärung des Urteils der 1. Kammer des Handelsgerichts Mechelen vom 30.4.2003 (Rep. 2003/1647; Rollennr.: A/03/976) steht das Hindernis des Art. 34 Nr. 2 EuGVO entgegen (Art. 45 Abs. 1 EuGVO). Danach wird eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem Bek...