Leitsatz (amtlich)
Ist die Übersendung der in Papierform geführten (Original-)Akte an den Verteidiger vor der Hauptverhandlung nicht (mehr) möglich, hat der Bußgeldrichter mit Blick auf die gem. § 110c Satz 1 OWiG auch für das Bußgeldverfahren geltende Bestimmung des § 32f Abs. 2 S. 2 StPO zu erwägen, die in Papierform vorliegende Akte einscannen und auf elektronischem Wege, naheliegend im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs, zum Abruf durch den Verteidiger zur Verfügung stellen zu lassen.
Verfahrensgang
AG Landstuhl (Entscheidung vom 16.01.2020; Aktenzeichen 2 OWi 4211 Js 14590/19) |
Tenor
- Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Landstuhl vom 16. Januar 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die selbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen auf dessen rechtzeitig erhobenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 15. August 2019 (Az.: 11.5002130.4) - ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung vom 16. Januar 2020 - wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften mit einer Geldbuße von 1.080 EUR belegt und gegen ihn ein Fahrverbot von zwei Monaten angeordnet. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die er auf die Sachrüge und eine Verfahrensbeanstandung stützt.
Der Einzelrichter des Senats hat die Sache durch Beschluss vom heutigen Tag gem. § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG an den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
I.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Betroffene beanstandet zu Recht, durch die fehlende Gewährung von Akteneinsicht vor der Hauptverhandlung und die Zurückweisung eines hierauf gestützten Aussetzungsantrages in einem wesentlichen Punkt in seiner Verteidigung unzulässig beschränkt worden zu sein (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO).
1.
Der Rüge liegt das folgende Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Der Betroffene hat gegen den ihm am Samstag, den 24. August 2019 zugestellten Bußgeldbescheid am Montag, den 9. September 2019 Einspruch eingelegt. Mit Verfügung vom 17. Dezember 2019 hat der Bußgeldrichter Hauptverhandlungstermin auf den 16. Januar 2020 bestimmt; eine entsprechende Ladung ging dem Betroffenen am 20. Dezember 2019 zu. Am 9. Januar 2020 hat der Verteidiger des Betroffenen seine Mandatierung angezeigt, Akteneinsicht in den Kanzleiräumen beantragt und vorsorglich Verlegung des Hauptverhandlungstermins beantragt. Noch am 9. Januar 2020 fertigte der Bußgeldrichter folgende Verfügung:
"1. Akteneinsicht durch Übersendung der Akte kann vor dem Termin nicht mehr gewährt werden, nur Einsicht auf der Geschäftsstelle oder durch Anforderung einer Aktenkopie.
2. Terminsverlegung wird nicht stattfinden. Das Mandat wurde in Kenntnis des Termins angenommen."
Die Verfügung ging dem Verteidiger über das besondere elektronische Anwaltspostfach gem. § 31a BRAO (beA) am Freitag, den 10. Januar 2020 zu. Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2020, der am selben Tag beim Amtsgericht einging, hat der Verteidiger sein Akteneinsichtsgesuch wiederholt und darauf hingewiesen, dass Akteneinsicht auch auf digitalem Wege, etwa über das beA, erfolgen könne. Zugleich beantragte der Verteidiger die Aussetzung des Verfahrens und Neuterminierung nach Gewährung von Akteneinsicht. Nach Eingang des Schriftsatzes fertigte der Bußgeldrichter folgende Verfügung an:
"1. Die Akte liegt hier nicht digital vor.
2. n ZV
3. zT oE"
Diese Verfügung wurde dem Verteidiger nicht bekannt gegeben. Am 15. Januar 2020 hat der Verteidiger beantragt, den Betroffenen vom Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Im Hauptverhandlungstermin vom 16. Januar 2020, zu dem der Betroffene und der Verteidiger nicht erschienen waren, hat der Bußgeldrichter den Betroffenen entbunden und nach Durchführung einer Beweisaufnahme ein Sachurteil verkündet. Eine Entscheidung über den (erneuten) Aussetzungsantrag ist nicht protokolliert. In den schriftlichen Urteilsgründen hat der Bußgeldrichter ausgeführt:
"Dem Aussetzungsantrag des Betroffenen war ebenso wenig nachzugeben wie dem Terminsverlegungsantrag. Wer in Kenntnis des Termins ein Mandat kurzfristig annimmt, kann eine Verlegung nicht begehren. Der Betroffene hatte seit der Einlegung des Einspruchs am 7. September 2019 genug Zeit, um sich der Verteidigung durch einen Rechtsanwalt zu versichern."
2.
Die Rüge ist in einer den Anforderungen der §§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG entsprechenden Weise erhoben und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Verteidiger in der Rechtsbeschwerde dargelegt, welche konkreten Verfahrenshandlungen und Erklärungen er in der Hauptverhandlung im Falle zuvor gewährter Akteneinsicht angebracht hätte (zu den Rügeanforderungen: BGH, Beschluss vom 23.02.2010 - 4 StR 599/09, NStZ 2010, 530, 531). § 32f Abs. 3 StP...