Leitsatz (amtlich)
1. Ein Richter darf im Hinblick auf § 291 ZPO auch privates Wissen verwerten oder die notwendigen Tatsachengrundlagen gegebenenfalls selbst ermitteln, solange er nicht außerhalb eines förmlichen Beweiserhebungsverfahrens mit unzulässigen Beweismitteln gezielt Sachverhaltserforschung unter Ausschaltung der Prozessbeteiligten bzw. eine tiefgreifende Amtsermittlung betreibt.
2. Zur Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, der die Parteien auf eine privat ermittelte Tatsache hinweist.
Normenkette
ZPO §§ 42, 291
Verfahrensgang
LG Landau (Pfalz) (Beschluss vom 31.10.2013; Aktenzeichen 4 O 88/13) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird festgesetzt auf 8395,90 EUR.
Gründe
Das Rechtsmittel ist gem. §§ 46 Abs. 2, 2. Alternative, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO zulässig. In der Sache führt es nicht zum Erfolg. Die Kammer hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 23.9.2013 mit dem angefochtenen Beschluss vom 31.10.2013 mit zutreffender Begründung zurückgewiesen.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
Gemäß § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Entscheidend ist, ob von dem Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung genügend objektive Gründe vorliegen, die die Befürchtung wecken könnten, der Richter stehe dem Rechtsstreit nicht mehr unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. etwa BGH NJW 1995, 1677; Vollkommer in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 42 Rz. 9). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Die Beklagten stützen ihr Ablehnungsgesuch im Wesentlichen darauf, der Richter sei wegen der Erteilung eines schriftlichen Hinweises vom 22.7.2013 im Nachgang zur öffentlichen Sitzung vom 18.7.2013 sachlich voreingenommen. Er habe hierdurch einseitig zugunsten einer Prozesspartei, nämlich des Klägers, einen für die Beklagtenseite nachteiligen tatsächlichen Gesichtspunkt in das Verfahren eingeführt, der zuvor von keiner der Parteien angesprochen gewesen sei. Diese Tatsachen seien auch weder "allgemeinkundig", noch sei erkennbar, aus welchem Grund der Richter sich diese Erkenntnisse verschafft habe. Hierzu habe er sich auch in der dienstlichen Stellungnahme vom 7.10.2013 nicht geäußert.
Zutreffend ist die Kammer in ihrem Beschluss vom 31.10. davon ausgegangen, dass dies eine Ablehnung nicht rechtfertigt. Zwar kann auch das Verhalten eines Richters bei der Leitung des Verfahrens, zu der auch die Erteilung von rechtlichen Hinweisen gehört, grundsätzlich eine Besorgnis der Befangenheit begründen. Jedoch ist dies nur dann der Fall, wenn sein Handeln ausreichender gesetzlicher Grundlage entbehrt, offensichtlich unhaltbar ist und sich von normalerweise geübten Verfahren so weit entfernt und als so grob fehlerhaft darstellt, dass es willkürlich erscheint (BVerfGE 29, 45; Gehrlein in MünchKomm/ZPO, § 42 Rz. 30; Mannebeck in: Prütting/Gehrlein (Hrsg.), ZPO, 5. Aufl. 2013, § 42 Rz. 32; Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 42 Rz. 24, jeweils mit weiteren Nachweisen). Ein solches Verhalten des abgelehnten Richters ist hier nicht zu erkennen.
Vielmehr ist er, unter Zugrundelegung seiner dienstlichen Stellungnahme vom 7.10.2013 und des Inhalts des erteilten schriftlichen Hinweises vom 22.7.2012, mit der Erteilung dieses Hinweises seinen Pflichten zur materiellen Prozessleitung gem. § 139 ZPO nachgekommen. Insbesondere vor dem Hintergrund des Verbots einer Überraschungsentscheidung i.S.v. § 139 Abs. 2 ZPO bestand nämlich eine Verpflichtung zur Erteilung dieses Hinweises, da der Richter - wie sich aus der Formulierung der Verfügung vom 22.7.2012 ergibt - von einer zuvor in der öffentlichen Sitzung vom 18.7.2013 von ihm geäußerten Rechtsauffassung abweichen (vgl. insoweit etwa BGH NJW 2002, 3317; Prütting in: Prütting/Gehrlein (Hrsg.), a.a.O., § 139 Rz. 8) und seine Entscheidung möglicherweise auf einen Gesichtspunkt stützen wollte, den die Parteien bisher erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hatten (§ 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Einführung dieses neuen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunktes war durch § 291 ZPO gedeckt. Danach bedürfen Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, keines Beweises. Nach der mittlerweile herrschenden Auffassung, der sich der Senat anschließt, ist weiter davon auszugehen, dass das Gericht darüber hinaus eine offenkundige Tatsache gemäß dieser Vorschrift auch ohne entsprechende Behauptung durch die Parteien in den Prozess einführen und seiner Entscheidung zugrunde legen darf (BGH, VersR 2007, 1087; OLG Frankfurt, MDR 1977, 849; BSG, NJW 1979, 1063; BAG NZA 1998, 661; Laumen in: Prütting/Gehrlein, a.a.O., § 291 Rz. 6; Saenger in: HK-ZPO, § 291 Rz. 10). Offenkundig i.S.v. § 291 ZPO sind zum einen "gerichtskundige", zum anderen "allgemeinkundige" Tatsache...