Leitsatz (amtlich)
Weder mit Bußgeldern geahndeten Verstöße gegen die Maskenpflicht bei sogenannten Montagsspaziergängen noch die bloße Teilnahme an solchen Versammlungen noch die gemäß § 26 Nr. 2 VersammlG strafbewehrte Durchführung einer derartigen Versammlung ohne Anmeldung als Veranstalter oder Leiter begründen jeweils für sich allein oder in einer Zusammenschau die Annahme einer gröblichen Amtspflichtverletzung eines Schöffen im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG.
Verfahrensgang
AG Rockenhausen (Aktenzeichen 1 AR 12/22) |
Tenor
Der Antrag, den Schöffen ... seines Amtes zu entheben, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Vorsitzende des Schöffenwahlausschusses hat unter Hinweis darauf, dass gegen den Jugendhauptschöffen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz in drei Fällen Anklage erhoben ist und gegen ihn wegen Verstößen gegen die Maskenpflicht zwei Bußgeldbescheide erlassen worden sind, beantragt, ihn seines Amtes zu entheben und angeregt, ihm bis zur Entscheidung über diesen Antrag die Führung der Amtsgeschäfte vorläufig zu untersagen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Antrag beigetreten.
II.
Der Antrag ist unbegründet. Die Voraussetzungen einer Amtsenthebung liegen nicht vor.
1. Der Schöffe hat vorliegend keine gröbliche Amtspflichtverletzung im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG begangen. Weder die beiden mit Bußgeldern geahndeten Verstöße gegen die Maskenpflicht bei sogenannten Montagsspaziergängen noch die Teilnahme an solchen Versammlungen noch die gemäß § 26 Nr. 2 VersammlG strafbewehrte Durchführung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung als Veranstalter oder Leiter (unterstellt, dieser Anklagevorwurf bestätigt sich) erfüllen jeweils für sich allein oder in einer Zusammenschau diese Voraussetzung.
a) § 51 Abs. 1 GVG ist auch auf Fälle anwendbar, in denen dem Schöffen ein Verhalten zur Last gelegt wird, das einen Straftatbestand erfüllt. Die in § 32 Nr. 1, § 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG getroffene Regelung, dass Personen, die wegen einer vorsätzlichen Straftat von mehr als sechs Monaten verurteilt sind, von der Schöffenliste zu streichen sind, entfaltet keine Sperrwirkung dahingehend, dass der Schöffe nach der Begehung einer Straftat allein bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen aus dem Schöffenamt zu entfernen ist (a.A. Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 51 Rn. 2; Barthe in KK-StPO, 8. Aufl., § 51 GVG Rn. 2).
Kann bereits nicht strafrechtlich relevantes Verhalten genügen, um die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 GVG zu erfüllen, muss dies erst Recht gelten, wenn das Verhalten zugleich eine Strafnorm erfüllt. Allein aus dem Umstand, dass die Ahndung einer solchen Tat hinter den Anforderungen des § 32 GVG zurückbleibt, lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass der Schöffe trotz Begehung der Tat als fähig zur Amtsausübung anzusehen wäre (OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.11.2021 - Ws 952/21, juris Rn. 30; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.02.2008 - OVG 4 E 3.08, juris Rn 3). Mit Einführung des § 51 GVG durch das Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in der Justiz und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2248, 2250) sollte neben § 32 GVG unter engen Voraussetzungen eine weitere Möglichkeit geschaffen werden, einen Schöffen seines Amtes zu entheben (vgl. BT-Drucks. 17/3356 S. 17; BR-Drucks. 539/10 S. 20; OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.11.2021 - Ws 952/21, juris Rn. 30).
b) Gemäß § 51 Abs. 1 GVG ist ein Schöffe seines Amtes zu entheben, wenn er seine Amtspflichten gröblich verletzt hat.
Eine solche Pflichtverletzung ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift dann anzunehmen, wenn der Schöffe ein Verhalten zeigt, das ihn aus objektiver Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten ungeeignet für die Ausübung des Schöffenamtes erscheinen lässt, weil er nicht mehr die Gewähr bietet, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden (OLG Celle, Beschluss vom 23.09.2014 - 2 ARs 13/14, NStZ-RR 2015, 54; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 51 Rn. 2 mwN). Wann das erforderliche Maß der Pflichtverletzung erreicht ist, ist eine Frage der konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Dezember 2018 - B 1 SF 2/15 S, juris Rn. 6). Dabei ist mit Blick auf das verfassungsrechtlich verankerte Prinzip des gesetzlichen Richters der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße zu beachten (BR-Drucks. 539/10 S. 21; OLG Celle, Beschluss vom 23.09.2014 - 2 ARs 13/14, NStZ-RR 2015, 54 f.). Als Pflichtverletzungen von besonderer Erheblichkeit kommen neben der Verletzung des Beratungsgeheimnisses, wiederholtem unentschuldigtem Fernbleiben von Sitzungen, der nicht nur vorübergehenden fehlenden Sicherstellung der telefonischen und postalischen Erreichbarkeit sowie der Verweigerung der Eidesleistung (BR-Drucks. 539/10 S. 21) nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere verfassungsfeindliche Aktivitäten in Betracht. Denn der Gesetzgeber hat § 51 GVG vor allem deshalb geschaffen, um seiner Verpflichtung nachzukommen, Schöffen und Schöffinn...