Leitsatz (amtlich)
Zur Annahme von Tatmehrheit bei verschiedenen Verstößen gegen Verkehrsvorschriften während einer Fahrt.
Zu den Voraussetzungen von Verstößen gegen § 36 Abs. 5 StVO und gegen § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO.
Verfahrensgang
AG Pirmasens (Entscheidung vom 28.09.2022; Aktenzeichen 2 OWi 4211 Js 5805/22) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Pirmasens vom 28.09.2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Polizeipräsidium Rheinpfalz - Zentrale Bußgeldstelle - hat mit dem zugrundeliegenden Bußgeldbescheid vom 11.02.2022 gegen den Betroffenen wegen am 28.11.2021 um 11:40 Uhr in ... begangener tateinheitlich begangener Ordnungswidrigkeiten, namentlich dem Nichtanlegen des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes während der Fahrt, dem Nichtbefolgen des Zeichens eines Polizeibeamten sowie dem Unterlassen, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem blauen Blinklicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen, eine Geldbuße in Höhe von 600,- Euro und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 28.09.2022 gegen den Betroffenen wegen vorsätzlichen Unterlassens, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu verschaffen in Tatmehrheit mit Nichtbefolgens eines Zeichens eines Polizeibeamten (Haltegebot) in Tatmehrheit mit einem Verstoß gegen die Pflicht zur Anlegung des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes während der Fahrt eine Geldbuße von 600,- Euro und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
Mit Beschluss vom 13.06.2023 hat der Einzelrichter dem Betroffenen Wiedereinsetzung in Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt. Seine Rechtsbeschwerde begründet der Betroffene mit der Sachrüge.
Mit weiterem Beschluss vom 14.11.2023 hat der Einzelrichter die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen, § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG.
II.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
1) Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 28.11.2021 gegen 11:40 Uhr die L... zwischen ... und ... als Führer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen ..., ohne den Sicherheitsgurt angelegt zu haben.
Die Polizeibeamten PK F. und PK G. gaben ihm mehrere Anhaltezeichen und schalteten auch das blaue Blinklicht und das Einsatzhorn ein, was der Betroffene zwar bemerkte, aber ignorierte. Er fuhr einfach weiter, wobei ein Überholen für die Beamten aufgrund des Streckenverlaufs zunächst nicht möglich war. Erst nachdem die Beamten das Fahrzeug überholt und ausgebremst hatten, hielt der Betroffene an.
2) Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen tatmehrheitlich begangener Verstöße gegen die §§ 21a Abs. 1, 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 2, 49 Abs. 1, Abs. 3 StVO nicht.
a) Zutreffend geht das Gericht zunächst davon aus, dass Verkehrsteilnehmer ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Verwendung der Einsatzmittel freie Bahn zu schaffen haben; denn in der konkreten Verkehrssituation ist kein Verkehrsteilnehmer in der Lage, die Frage der Rechtmäßigkeit zu beurteilen, so dass er ohne Prüfung der Sachlage sofort und unbedingt freie Bahn zu gewähren hat (OLG Köln, Beschluss vom 13. Januar 1984 - 1 Ss 905/83 -, juris). Zutreffend geht das Gericht weiter davon aus, dass außer einem Verstoß gegen die §§ 38 Abs.1 Satz 2, 49 Abs. 3 Nr. 3 StVO auch eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 36 Abs. 5, 49 Abs. 3 Nr.1 StVO in Betracht kommt; denn nach den Feststellungen liegt es nahe, dass die Polizeibeamten den Betroffenen anhalten und einer Verkehrskontrolle hinsichtlich des nicht beendeten Gurtverstoßes unterziehen wollten, so dass sich die Betätigung des Blaulichtes und des Einsatzhorns auch als eine Weisung der Zeugen an den Betroffenen zum Anhalten darstellen kann (OLG Köln a.a.O.; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Hühnermann, 27. Aufl. 2022, StVO § 36 Rn. 12 m.w.N.; BeckOK StVR/Ritter, 20. Ed. 15.7.2023, StVO § 36 Rn. 20a m.w.N.).
b) Das Amtsgericht hat im rechtlichen Ausgangspunkt weiter zwar richtig erkannt, dass es an die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses im Bußgeldbescheid nicht gebunden ist, sondern dieses eigenständig zu bewerten hat. Die insoweit lückenhaften Feststellungen ermöglichen dem Senat jedoch nicht die Prüfung, ob das Amtsgericht zu Recht von einer tatmehrheitlichen Begehungsweise ausgegangen ist. Durch eine rechtsfehlerhafte Verneinung einer natürlichen Handlungseinheit kann der Betroffenen hier beschwert sein. Dies hätte zur Folge, dass nach § 19 Abs. 1 OWiG hinsichtlich des gesamten, dem Bußgeldbescheid zugrundeliegenden Verkehrsgesche...