Normenkette
OWiG § 74 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Pirmasens (Entscheidung vom 22.06.2020) |
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Pirmasens vom 22. Juni 2020 aufgehoben.
II.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Pirmasens zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 1. Oktober 2019 wurde gegen den Betroffenen wegen des Vorwurfs einer am 27. Juni 2019 begangenen vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 74 km/h eine Geldbuße von 1,200 € festgesetzt sowie ein dreimonatiges Fahrverbot angeordnet. Das Amtsgericht Pirmasens hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid mit Urteil vom 22. Juni 2020 verworfen, weil dieser ohne genügende Entschuldigung im Termin der Hauptverhandlung ausgeblieben sei. Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er rügt, das Amtsgericht habe sein Entschuldigungsvorbringen unzureichend gewürdigt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil auf die Rechtsbeschwerde hin aufzuheben.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat einen vorläufigen Erfolg. Die Verteidigung macht mit Erfolg geltend, das Tatgericht habe bei Erlass des Verwerfungsurteils Entschuldigungsvorbringen nicht hinreichend berücksichtigt.
Gemäß § 74 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung der Hauptverhandlung fernbleibt, ohne von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden worden zu sein.
Der Begriff der ,,genügenden Entschuldigung'' darf nicht eng ausgelegt werden. Denn § 74 Abs. 2 OWiG enthält eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ohne den Betroffenen nicht verhandelt werden darf. Die Regelung birgt nicht nur die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich, sondern auch, dass dem Betroffenen das ihm nach Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte rechtliche Gehör entzogen wird. Deshalb ist bei der Prüfung der vorgebrachten oder vorliegenden Entschuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Betroffenen geboten (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 29. Oktober 2018, Az. 3 Ss OWi 1464/18; Beschluss vom 06. März 2013, Az. 3 Ss 20/13 zitiert nach juris). Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betroffenen einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Betroffenen unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann. Entscheidend ist dabei nicht, ob sich der Betroffenen genügend entschuldigt hat, sondern ob er (objektiv) genügend entschuldigt ist. Den Betroffenen trifft daher hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes grundsätzlich keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis; vielmehr muss das Gericht, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungsgrund vorliegt, dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Januar 2018, Az. 1 Owi 2 Ss Bs 84/17; OLG Bamberg, Beschluss vom 29. Oktober 2018, 3 Ss OWi 1464/18; Beschluss vom 28. November 2011, Az. 3 Ss OWi 1514/11; KG, Beschluss vom 27. August 2018, Az. 3 Ws (B) 194/18 zitiert nach juris).
Im Falle des Nichterscheinens wegen einer Erkrankung oder ähnlicher Umstände liegt ein Entschuldigungsgrund vor, wenn die damit verbundenen Einschränkungen oder Beschwerden nach deren Art und Auswirkung eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar machen, wobei Verhandlungsunfähigkeit nicht gegeben sein muss (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Januar 2018 a.a.O.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 30. August 2016, Az. (2 B) 53 Ss-OWi 491/16, zitiert nach juris; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 281). Der Sachvortrag zum Entschuldigungsgrund der Erkrankung erfordert für seine Schlüssigkeit zumindest die Darlegung eines krankheitswertigen Zustandes. Dies kann durch die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen erfolgen, ohne dass diesen die Art der Erkrankung zu entnehmen sein muss. Anderenfalls bedarf es zumindest entsprechenden Sachvortrags zu Art und Auswirkung der geltend gemachten Erkrankung, um dem Gericht die Grundlage für eine rechtliche Bewertung zu bieten, ob dem Betroffenen die Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar ist. Die pauschale Mitteilung, der Betroffene sei "erkrankt", "bettlägerig erkrankt" oder "plötzlich erkrankt", genügt diesen Anforderungen deshalb nicht und begründet keine Verpflichtung des Gerichts, bei etwaigen Zweifeln weitere Feststellungen im Freibeweisverfahren zu treffen (vgl. schon OLG Bamberg, Beschluss vom 29...