Leitsatz (amtlich)
Wenn der Verteidiger demselben Angeklagten in demselben Strafverfahren während des Ermittlungsverfahrens zweimal beigeordnet wird, stellt ein und dasselbe Strafverfahren - jedenfalls für jede Instanz - immer ein und dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG dar.
Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Entscheidung vom 05.07.2023; Aktenzeichen 2 Qs 144/23) |
AG Speyer (Entscheidung vom 05.04.2023; Aktenzeichen 1 Ls 5121 Js 25842/19) |
AG Speyer (Entscheidung vom 26.06.2022; Aktenzeichen 1 Ls 5121 Js 25842/19) |
Tenor
1. Auf die weitere Beschwerde der Vertreterin der Landeskasse werden der Beschluss des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 05.07.2023, der Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 05.04.2023 und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Speyer vom 26.06.2022 aufgehoben.
2. Der Rechtspflegerin bei dem Amtsgericht Speyer wird aufgegeben, die Kosten und Auslagen des Verteidigers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu festzusetzen.
Gründe
I
Der Verteidiger ist dem Angeklagten durch Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 16.12.2020 für die Dauer der Vernehmung einer Zeugin beigeordnet worden. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06.04.2021 hat das Amtsgericht die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 582,68 € festgesetzt. Dabei wurden die Grundgebühr (Nr. 4100 VV-RVG), die Verfahrensgebühr (Nr. 4104 VV-RVG) und eine Terminsgebühr (Nr. 4102 Nr. 1 VV-RVG) sowie die Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV-RVG) angesetzt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Amtsgericht Speyer noch vor der Anklageerhebung am 21.10.2021 den Verteidiger mit Beschluss vom 21.04.2021 für das gesamte Verfahren beigeordnet. Mit Urteil vom 04.04.2022 hat das Schöffengericht des Amtsgerichts den Angeklagten von den Vorwürfen der Vergewaltigung und der Körperverletzung in zwei Fällen freigesprochen. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26.06.2022 hat das Amtsgericht die von der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen des Verteidigers für seine weitere Tätigkeit mit 1.539,44 € festgesetzt. Dabei wurden die Grundgebühr (Nr. 4100 VV-RVG), die Verfahrensgebühr (Nr. 4104 VV-RVG), die Verfahrensbebühr für den ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht (Nr. 4106 VV-RVG) und drei Termingebühren (Nr. 4108 bzw. 4110 VV-RVG) sowie die Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV-RVG) angesetzt. Der gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss eingelegten Erinnerung der Vertreterin der Landeskasse hat die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 27.03.2023 nicht abgeholfen. Das Schöffengericht des Amtsgerichts hat die Erinnerung mit Beschluss vom 05.04.2023 zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Vertreterin der Landeskasse hat das Landgericht Frankenthal (Pfalz) mit Beschluss vom 05.07.2023 als unbegründet verworfen und die weitere Beschwerde gegen seinen Beschluss zugelassen.
Der weiteren Beschwerde der Vertreterin der Landeskasse hat das Landgericht mit Beschluss vom 01.08.2023 nicht abgeholfen.
II.
Das Rechtsmittel der Vertreterin der Landeskasse ist gem. §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 RVG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Die im Beschlussausspruch genannten Entscheidungen des Amtsgerichts Speyer und des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) sind rechtsfehlerhaft.
Der Verteidiger ist demselben Angeklagten in demselben Strafverfahren während des Ermittlungsverfahrens zweimal beigeordnet worden. In diesem Fall stellt ein und dasselbe Strafverfahren - jedenfalls für jede Instanz - immer ein und dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG dar (OLG Celle, Beschluss vom 25.08.2010, 2 Ws 303/10, Rn. 14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.12.2013, III 1 Ws 416/13, juris, Rn. 6; LG Landshut, Beschluss vom 23.03.2010, 2 Qs 326/09, juris, Rn. 15; für das Revisionsverfahren: OLG München, Beschluss vom 21.01.2008, 4 Ws 3/08 ≪K≫, juris, Rn. 7). Die von dem Rechtsanwalt übernommenen Aufgaben sind für die Beurteilung unerheblich, soweit sie in demselben Verfahren wahrgenommen werden (OLG Celle a.a.O, Rn. 11). Die mehrfache Beauftragung eines Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit regelt § 15 Abs. 5 RVG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift erhält der Rechtsanwalt, der in einer Angelegenheit, in der er bereits vorher tätig war, weiter tätig wird, nicht mehr an Gebühren, als er erhalten würde, wenn er von vornherein hiermit beauftragt worden wäre. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt dies nicht, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist. Im vorliegenden Fall liegen zwischen den beiden Beiordnungen durch das Amtsgericht Speyer keine zwei Jahre mit der Folge, dass der Verteidiger nur die Gebühren abrechnen kann, die er hätte abrechnen können, wenn er bereits am 16.12.2020 umfassend als Pflichtverteidiger beigeordnet worden wäre.
Der Umsetzung dieser Rechtslage steht auch nicht die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 06.04.2021 entgegen; denn der Inhalt dieses Beschlusses hindert die Anrechnung der bereits zuerkannten Gebühren und Auslagen auf den weiteren Gebüh...