Entscheidungsstichwort (Thema)

Verbot der Vorwegnahme der Beweiswürdigung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist ein bestimmter Geschehensablauf sowohl unter Sachverständigen- als auch unter Zeugenbeweis gestellt, so darf das Gericht nicht mit der Begründung von der Zeugenvernehmung absehen, das behauptete Geschehen könne bereits nach dem Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht zutreffen.

 

Normenkette

ZPO §§ 286, § 302 ff., §§ 355, § 373 ff.

 

Verfahrensgang

LG Frankenthal (Pfalz) (Urteil vom 17.12.2003; Aktenzeichen 4 O 178/03)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) v. 17.12.2003 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

II. Die Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden niedergeschlagen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche des Klägers.

Der Kläger pflanzt auf einem Ackergrundstück in L. Rosen für seine Gärtnerei an. Südlich davon bewirtschaftet der Beklagte ein Ackergrundstück, auf dem er Weizen anbaut. Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ein Pflanzenschutzmittel versprüht und dadurch die Rosenpflanzen des Klägers beschädigt. Er hat den Beklagten deshalb auf Schadensersatz i.H.v. 72.780 Euro nebst Zinsen in Anspruch genommen. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Urt. v. 17.12.2003, auf das zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat die Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner innerhalb gesetzlicher Frist eingelegten Berufung. Er hat sein Rechtsmittel innerhalb gewährter Fristverlängerung begründet, die ihm auf rechtzeitigen Antrag hin bewilligt worden ist.

Der Kläger macht geltend, das angefochtene Urteil sei verfahrensfehlerhaft. Die Erstrichterin habe seine Zeugenbeweisantritte für die Behauptung übergangen, dass sich zum Schadenszeitpunkt übel riechende Nebelwolken von dem benachbarten Grundstück des Beklagten auf das Grundstück des Klägers zu bewegt und sich dort abgesetzt hätten. Stattdessen habe die Erstrichterin zunächst ein Sachverständigengutachten eingeholt und allein auf dessen Grundlage eine unzulässige antizipierte Beweiswürdigung vorgenommen. Weil die Erstrichterin dem Sachverständigen die notwendigen Anknüpfungstatsachen nicht vorgegeben habe, stelle dieser mit seinem Gutachten in unzulässiger Weise allein auf die Angaben des Beklagten ab.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründungsschrift v. 6.4.2004 verwiesen.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen an ihn 72.780 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.7.2002 zu zahlen.

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung v. 23.4.2004, auf die zur näheren Darstellung Bezug genommen wird.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zweiter Instanz wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II. Die Berufung ist zulässig, §§ 511 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 519, 520 ZPO. In der Sache führt das Rechtsmittel zu einem vorläufigen Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler. Es ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückzuverweisen.

1. Die Erstrichterin hat dem Kläger einen Schadensersatzanspruch deshalb abgesprochen, weil er schon keine Verletzungshandlung des Beklagten bewiesen habe. Zur Begründung hat sich das LG auf das Gutachten des Sachverständigen D. bezogen, der zu dem Ergebnis gelangt ist, unter den am Schadenstag gegebenen Witterungsverhältnissen und den topografischen Gegebenheiten könne der behauptete Abdriftschaden nach Art und Umfang nicht eingetreten sein. Mit Recht beanstandet der Kläger, dass das angefochtene Urteil insoweit auf Verfahrensfehlern beruht.

Zwar findet die Feststellung des LG zum fehlenden Nachweis der Verletzungshandlung ihre Grundlage im schriftlichen Gutachten des Sachverständigen D. v. 18.11.2003 und in dessen Erklärungen bei seiner Anhörung im Termin v. 17.12.2003. Der Kläger hatte aber einen von den Feststellungen des Sachverständigen abweichenden Geschehensablauf behauptet und unter Beweis gestellt. Darüber hat die Erstrichterin sich hinweggesetzt.

Bereits in der Klageschrift hatte der Kläger behauptet, er habe am Abend des 17.6.2002 gegen 20.30 Uhr feststellen müssen, dass sich vom Nachbargrundstück des Beklagten aus - bei sonst wolkenfreiem Himmel - dunkle und übel riechende Nebelwolken auf sein Grundstück zu bewegt und dort abgesetzt hätten. Offensichtlich hätten diese dunklen Nebelwolken daher gerührt, das...

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