Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärungspflicht bei gynäkologischer Operation
Leitsatz (amtlich)
Zur Behebung eines Scheidenprolaps, einer Cystocele (Senkung der vorderen Scheidenwand und des Blasenbodens) sowie einer Rectocele (Vorwölbung der Scheidenhinterwand) stehen unterschiedliche operative Behandlungsmethoden mit unterschiedlichen Risiken und Heilungschancen zur Wahl (vaginales - abdominales Vorgehen; vordere - hintere Scheidenplastik; Sakropexie bzw. sakrale Kolpopexie; paravaginaler repair).
Über diese Behandlungsalternativen ist die Patientin umfassend aufzuklären. Ihr ist die Wahl der Methode zu überlassen.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
LG Kaiserslautern (Urteil vom 16.11.2005; Aktenzeichen 4 O 184/03) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten zu Ziff. 2) wird das Grundurteil der 4. Zivilkammer des LG Kaiserslautern vom 16.11.2005 teilweise geändert:
Die Klage ggü. der Beklagten zu 2) wird abgewiesen.
II. Die Berufung der Beklagten zu 1), 3) und 4) gegen das Grundurteil vom 16.11.2005 wird zurückgewiesen.
III. Die Klägerin hat der Beklagten zu 2) die außergerichtlichen Auslagen der ersten Instanz zu erstatten. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung betreffend den ersten Rechtszug der Schlussentscheidung vorbehalten.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zu 1), 3) und 4) zu ¾ und der Klägerin zu ¼ zur Last.
IV. Die Parteien können eine Vollstreckung der Gegenseite wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Gegenseite Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die 1943 geborene Klägerin wurde im Februar 1999 von ihrem niedergelassenen Gynäkologen zur stationären Behandlung in das von der Beklagten zu 1) betriebene Krankenhaus mit der Diagnose: "Zustand nach abdomineller Totalextirpation mit Adnexen im Jahr 1992, Partialprolaps" eingewiesen.
Bei der Aufnahmeuntersuchung am 2.3.1999 gegen 11:20 Uhr diagnostizierte der Oberarzt Dr. St. eine ausgeprägte Cystocele (Senkung der vorderen Scheidenwand und des mit dem Scheidengewölbe verbundenen Blasenbodens), eine mäßiggradige Rectocele (Vorwölbung der Scheidenhinterwand) sowie einen mäßigen Scheidenprolaps ohne Inkontinenz. Gegen 17:00 Uhr desselben Tages wurde die Klägerin dem Beklagten zu 3), dem Chefarzt der gynäkologischen Abteilung, zur Untersuchung vorgestellt.
Die Beklagte zu 4) führte mit der Klägerin am Aufnahmetag ein Aufklärungsgespräch, dessen Inhalt zwischen den Parteien umstritten ist. Die Klägerin unterzeichnete den bei den Krankenunterlagen befindlichen Aufklärungsbogen und willigte darin in den vorgesehenen Eingriff ein. Auf dem verwendeten Merkblatt "Operationen bei Senkung (bzw. Vorfall) und Harninkontinenz" des perimed Compliance Verlages (1996) ist angekreuzt: "Behebung der Blasensenkung ("vordere Plastik")", "Wiederherstellung von Beckenboden und Damm ("hintere Plastik")" und "Operation von der Bauchdecke aus". Handschriftlich findet sich darunter der ergänzende Eintrag "Sakropexie".
Am Morgen des 3.3.1999 wurde die Klägerin von der Beklagten zu 2), assistiert von zwei Ärzten im Praktikum, durch Re-Laparotomie mit Sakrofixation des Scheidenstumpfes unter Verwendung eines Gorotex-Implantates und "paravaginal repair" operativ versorgt. Verwachsungen des Bauchfells mit dem Darm mussten - teilweise scharf - gelöst werden.
Nach zunächst unauffälligem Verlauf erfolgte wegen anhaltender Beschwerden am 7.3.1999 eine Re-Re-Laparotomie, bei welcher eine kotige Peritonitis infolge der Perforation des Sigmas festgestellt wurde. In der Folgezeit waren weitere Eingriffe, u.a. zur Anlage eines Anus praeter, sowie eine Tracheotomie zur Beatmung während eines künstlichen Komas erforderlich. Nach Abschluss der stationären Krankenhausbehandlung Mitte Juli 1999 war eine Rehabilitationsmaßnahme erforderlich. Die Klägerin bezieht seither eine Erwerbsunfähigkeitsrente.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei über das angewandte Operationsverfahren und die damit verbundenen Risiken nicht aufgeklärt worden.
Die gewählte Operationsmethode sei in ihrem Fall ungeeignet gewesen und zudem behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden. Insbesondere sei es versäumt worden, nach Beendigung der Operation eine optische Kontrolle des Darms durchzuführen. Die Peritonitis hätte bei der erforderlichen Zuziehung von ärztlichem Personal früher erkannt und behandelt werden können.
Die Klägerin hat ein angemessenes Schmerzensgeld, eine Schmerzensgeldrente ab dem Monat nach Rechtshängigkeit in angemessener Höhe, materiellen Schadensersatz i.H.v. 26.271,77 EUR nebst Zinsen sowie eine monatliche Geldrente i.H.v. 566,72 EUR, beginnend ab 1.2.2003 bis 6.10.2008, Feststellung der weiteren Ersatzpflicht und weiteren materiellen Schadensersatz von 1.311,94 EUR nebst Zinsen, zu zahlen an ihre Rechtsschutzversicherung, ggü. den Beklagten als Gesamtschuldnern geltend gemacht.
Die Beklagten sind den Anträgen entgegengetreten.
Zur Aufklärung der Kläger...