Verfahrensgang

VG Bremen (Beschluss vom 11.05.2005; Aktenzeichen S4 V 296/05)

 

Tenor

DerBeschluss desVerwaltungsgerichts Bremen – 4. Kammer für Sozialgerichtssachen – vom11.05.2005 wird aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin unter dem Vorbehalt der Rückforderung für die Zeit vom 01.09.2005 bis zum 30.11.2005 Leistungen unter entsprechender Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin des Verfahrens erster und zweiter Instanz zu tragen.

 

Tatbestand

I.

Die 1983 geborene Antragstellerin stammt aus dem Kosovo und gehört der Minderheitsgruppe der Ashkali an.

Sie bezieht seit der ersten Hälfte des Jahres 2001 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG.

Im Februar 2005 beantragt die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet werden sollte, der Antragstellerin die erhöhten Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren.

Das Verwaltungsgericht – 4. Kammer für Sozialgerichtssachen – lehnte den Antrag mit Beschluss vom 11.05.2005 ab. Zur Begründung führte es aus, die Antragstellerin habe seit 36 Monaten mit den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gelebt, die sie nach wie vor erhalte. Hinsichtlich des Differenzbetrages zum Leistungsniveau des SGB XII müsse sich die Antragstellerin auf das Hauptsacheverfahren verweisen lassen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde hat Erfolg. Die Voraussetzungen nach § 86 b Abs. 2 SGG für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor.

Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsgrund (1.) als auch einen Anordnungsanspruch (2.) glaubhaft gemacht.

1.

Ein Anordnungsgrund, d. h. die Erforderlichkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu bejahen. Der Regelung in § 2 Abs. 1 AsylbLG ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich allen Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz die erhöhten Leistungen des SGB XII nach 36 Monaten gewähren will (vgl. auch BT-Drucks. 15/420, S. 121). Diesem Willen des Gesetzgebers würde nicht hinreichend Geltung verschafft, wenn die Behörde die in § 2 AsylbLG vorgesehene Anhebung der Sozialleistungen nach 36 Monaten ablehnen könnte, ohne dass sich der Betroffene dagegen mit Hilfe einer gerichtlichen einstweiligen Anordnung zur Wehr setzen könnte. Zudem würde der Zugang zur einstweiligen Klärung der Anspruchsberechtigung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG prinzipiell versperrt, was schwerlich mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar wäre (vgl. OVG Münster, B. v. 16.10.2001 – 12 B 622/01 –). Der Anordnungsgrund kann deshalb nicht mit dem Hinweis darauf verneint werden, dass die Antragstellerin Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erhält (vgl. OVG Münster, B. v. 16.10.2001, a.a.O.; OVG Lüneburg, B. v. 14.09.2000 – 4 M 3027/00 –; VG Braunschweig, B. v. 18.05.2004 – 3 B 59/04 –; VG Oldenburg, B. v. 23.11.2004 – 13 B 3972/04 –). Soweit der Senat im Beschluss vom 18.01.2005 (Az. 2 B 10/05) eine hiervon abweichende Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht fest.

2.

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der ab 01.01.2005 geltenden Fassung (durch Gesetz vom 30.07.2004, BGBl. I S. 1950) ist das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Dass die Antragstellerin insgesamt 36 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten hat, ist unstreitig.

Es kann nach summarischer Prüfung auch nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. In den Gesetzesmaterialien zu § 2 AsylbLG n. F. (vgl. BT-Drucks. 15/420, 121, abgedruckt in GK-AsylbLG III-§ 2) heißt es, die Anwendung des BSHG solle wie im derzeit geltenden Recht grundsätzlich für alle Fälle des § 1 nach 36 Monaten erfolgen. Ausgenommen wären „nur die Fälle, in denen der Ausländer rechtsmissbräuchlich die Dauer seines Aufenthalts (z. B. durch Vernichtung des Passes, Angabe einer falschen Identität) selbst beeinflusst hat”. Dies entspreche auch „der Intention des Gesetzes, zwischen denjenigen Ausländern zu unterscheiden, die unverschuldet nicht ausreisen können und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkommen”.

Hier sieht die Antragsgegnerin ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin darin, dass sie nicht freiwillig ausgereist sei, obwohl ihr dies zuzumuten gewesen sei und auch weiterhin zumutbar sei. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG kann nur gesprochen werden, wenn es sich um ein von der Rechtsordnung ...

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