Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylrecht. Verfassungsmäßigkeit des § 104a Abs 3 S 1 AufenthG 2004. keine Ermessensprüfung bei § 104a Abs 3 S 2 AufenthG 2004. Ausnahmefall zur Ausreisepflicht aufgrund der Straffälligkeit eines Familienmitgliedes. Rückführung selbstmordgefährdeter Ausländer
Leitsatz (amtlich)
1. Die vom VGH Mannheim im Rahmen einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschluss vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, DÖV 2009, 727 = InfAuslR 2009, 350) angenommene Verfassungswidrigkeit des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG teilt der Senat, der sich mit dieser Problematik in seinem Urteil vom 15.10.2009 – 2 A 329/09 – befasst hat, nicht.
2. Der Ausländerbehörde ist im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines die Zurechnung gegenüber dem in häuslicher Gemeinschaft mit einem Vorbestraften lebenden Ehepartner ausschließenden Härtefalls nach § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG kein Ermessen eröffnet. Bei der Konkretisierung des unbestimmten und daher ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffs der “besonderen Härte” kommt eine solche nur dann in Betracht, wenn im konkreten Einzelfall ganz besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die mit der Befolgung der Ausreisepflicht für den Ehegatten verbundenen Konsequenzen ihn erheblich ungleich härter treffen als andere Ausländer in vergleichbarer Situation oder wenn beispielsweise die abgeurteilte Straftat im Sinne § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG gegenüber dem Ehepartner selbst begangen worden ist, weil dann die Zurechnung gegenüber dem Opfer erfolgen würde.
3. Zu den von der Ausländerbehörde zu treffenden Vorkehrungen einer medizinischen Betreuung und Begleitung des Abschiebevorgangs für die beabsichtigte Rückführung einer selbstmordgefährdeten Ausländerin.
4. Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter “faktischer Inländer” kommt allenfalls in Betracht, wenn von seiner abgeschlossenen “gelungenen” Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, ausgegangen werden kann. Insoweit ist für minderjährige Kinder keine isolierte Betrachtung vorzunehmen.
Normenkette
EMRK Art. 8 Abs. 1; GG Art. 100 Abs. 1; VwGO § 123 Abs. 1, § 146 Abs. 4 S. 6; AufenthG § 25 Abs. 5, § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 6, Abs. 3 Sätze 2, 1
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Beschluss vom 24.08.2009; Aktenzeichen 10 L 675/09) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 24. August 2009 – 10 L 675/09 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,- EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die aus Blida in Algerien stammenden Antragsteller zu 1) und 2) sind Eheleute, reisten im November 1992 gemeinsam mit dem 1987 geborenen Sohn O… A… in die Bundesrepublik ein und beantragten im Ergebnis erfolglos die Anerkennung als Asylberechtigte. (vgl. den alle 3 betreffenden Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2.12.1993 – C 1538141-221 –, durch den die Anträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden, und den die dagegen gerichtete Klage abweisenden Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts vom 2.9.1994 – 2 K 11/94.A –) Im Februar 1994 wurden sie mit dem 1993 in Neunkirchen geborenen Antragsteller zu 3) nach Algerien abgeschoben.
Nach einer erneuten Einreise November 1994 gestellte Asylanträge der Antragsteller zu 1) und 2) und des Sohnes O… wurden im Juni 1995 ebenfalls abschlägig beschieden. (vgl. den Ablehnungsbescheid des Bundesamts vom 28.6.1995 – C 1914696-221 –) Ein Asylgesuch des Antragstellers zu 3) wurde ebenfalls abgelehnt. (vgl. den Ablehnungsbescheid vom 28.6.1995 – C 1914759-321 –) Rechtsbehelfe blieben auch insoweit ohne Erfolg. (vgl. VG des Saarlandes, Urteile vom 23.4.1998 – 2 K 156/95.A und 2 K 157/95.A – und OVG des Saarlandes, Beschluss vom 12.8.1999 – 1 Q 91/98 – (Nichtzulassung der Berufung))
1997 wurde die Antragstellerin zu 4) in Völklingen geboren. Asylantrag wurde für sie zunächst nicht gestellt.
Im Dezember 1998 wurde der Antragsteller zu 2) wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen belegt.
In der Folge bemühten sich die Antragsteller vergeblich um die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der seinerzeit maßgeblichen Bleiberechtsregelung vom November 1999 für ausländische Familien mit langjährigem Aufenthalt (Härtefallregelung). Ein darauf gestütztes Gesuch um Abschiebungsschutz wurde vom Verwaltungsgericht im November 2000 unter Verweis auf die von der Behörde “nach erneuter Prüfung” eingewandte Nichterfüllung des Stichtages dieser Härtefallregelung (1.7.1993) wegen der zwischenzeitlichen Abschiebung im Jahre 1994 und einer sich dar...