Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur verschärfenden Unterschreitung der normativen Emissionsgrenzwerte von Abfallverbrennungsanlagen
Leitsatz (amtlich)
1. Die 17. BImSchVO betreffend die Anforderungen an Abfallverbrennungsanlagen ist im Jahr 2006 – mehrere Jahre vor Ablauf europäischer Übergangsfristen bis 1.1.2010 – nicht europarechtlich überholt.
2. Die immissionsschutzrechtliche Behörde darf bei Abfallverbrennungsanlagen gegenüber der 17. BImSchVO verschärfte Kontrollwerte (nicht: Zielwerte) als Emissionsgrenzwerte festsetzen, wenn die Anlage diese Werte aufgrund ihrer modernen Technik nachweisbar gegenwärtig einhalten kann.
Normenkette
BImSchVO § 5 I Nr. 2, § 16 I, §§ 20, 3 VI
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt seit 1970 eine thermische Abfallbehandlungsanlage für Hausmüll und hausmüllähnliche Gewerbeabfälle in N. 1993 wurde die Rauchgasreinigungsanlage modernisiert. Mit immissionsschutzrechtlichem Bescheid vom 11.2.1994 (Gerichtsakten, Anlage K2), S. 24, wurden für die Schadstoffe Gesamtstaub, Schwefeloxide und Stickoxide die Halbstundenmittelwerte mit 30 mg/cbm, 200 mg/cbm und 400 mg/cbm an die Emissionsgrenzwerte in § 5 I Nr. 2 der 17. BImSchVO angepasst; demgegenüber wurden die Tagesmittelwerte mit 5 mg/cbm, 30 mg/cbm und 100 mg/cbm gegenüber der 17. BImSchVO auf rund die Hälfte verschärft.
Im vorliegenden Verfahren geht es um eine immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung.
Mit Änderungsgenehmigungsantrag vom 12.6.2003, eingegangen am 16.6.2003 (Verfahrensordner der Behörde Bl. 2), beantragte die Klägerin eine Kapazitätserweiterung, um auch externe Abfälle anzunehmen. Die stündliche Kapazität sollte von 8,5 Tonnen pro Stunde auf maximal 10,6 Tonnen pro Stunde und die Jahreskapazität von bisher 120.000 Tonnen Abfall pro Jahr auf 150.000 Tonnen Abfall pro Jahr gesteigert werden.
Genehmigungsantrag, Anlagen- und Betriebsbeschreibung, S. 4, im Antragsordner 1/2 der Klägerin, Bl. 30/33.
In der Anlagen- und Betriebsbeschreibung (S. 4) ist ausgeführt, dass nach Modernisierungen 1999 und 2001 die Abgasreinigungstechnik den neuesten Anforderungen der Technik und der Emissionsminderung genüge und der 17. BImSchVO in dem Änderungsentwurf von 2003 mit der jetzigen Technik bereits Rechnung getragen sei.
Dem Antrag war eine Immissionsprognose der proTerra vom 10.6.2003 beigefügt (Antragsorder 1/2, Bl. 171). Die Immissionsprognose kam zu dem Ergebnis, dass die Immissionszusatzbelastung irrelevant (S. 12) und die gemessene Immissionsvorbelastung an den Messpunkten der Nachbarschaft gering sei (S. 27). Der Beklagte überprüfte im Behördenverfahren die Plausibilität der Immissionsprognose durch TÜV-Gutachten vom 24.5.2004 (in den Gerichtsakten, Anlage K6). Der TÜV korrigierte einzelne Werte wie insbesondere die Zusatzbelastung für Stickstoffoxide, bei der der Anteil von Stickstoffmonoxid übersehen war (TÜV-Gutachten S. 19), kam aber hinsichtlich der Irrelevanz der Zusatzbelastung nach der Irrelevanzgrenze von 3 % auch bei Stickstoffoxiden zu keinem anderen Ergebnis (S. 19 und 24). Auch im Übrigen verblieb es nach dem TÜV-Gutachten (S. 19) bei der Irrelevanz der Zusatzbelastung durch das Änderungsvorhaben. Bei den vorgeschlagenen Halbstundenmittelwerten für Gesamtstaub, Schwefeloxide und Stickstoffoxide orientierte sich der TÜV in seinem Gutachten (S. 49) an der 17. BImSchVO.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 4.12.2003 (Verfahrensordner Bl. 182) hörte der Beklagte mit Schreiben vom 20.9.2004 (Verfahrensordner Bl. 216) die Klägerin zu den Nebenbestimmungen des beabsichtigten Bescheides und damit insbesondere zu der Verschärfung von Grenzwerten an. Bei den vorgesehenen Halbstundenmittelwerten (Verfahrensordner Bl. 213/212) beabsichtigte der Beklagte für Gesamtstaub die Festlegung des Grenzwertes auf 20 mg/cbm statt 30 mg/cbm nach § 5 I Nr. 2 der 17. BImSchVO, für Schwefeloxide auf 150 mg/cbm statt 200 mg/cbm und für Stickoxide auf 350 mg/cbm statt 400 mg/cbm. Weitere Grenzwertverschärfungen wie etwa für Quecksilber sind nicht Gegenstand des vorliegenden Prozesses.
Mit Schreiben vom 18.10.2004 (Verfahrensordner Bl. 225/223) widersprach die Klägerin im Behördenverfahren der vorgesehenen Verschärfung für die Halbstundenmittelwerte von Gesamtstaub, Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid. Nach der vorliegenden Immissionsprognose gebe es keinen Anlass für die Verschärfung dieser Werte. Jede Verschärfung geltender Grenzwerte bedeute für sie eine spürbare Reduzierung des für eine zuverlässige Abfallbehandlung zwingend erforderlichen Sicherheitsabstandes der tatsächlichen, häufig schwankenden Emissionswerte gegenüber den normativen Emissionsgrenzwerten.
Mit immissionsschutzrechtlichem Änderungsgenehmigungsbescheid vom 15.2.2005 (Verfahrensordner Bl. 287) wurde die Kapazitätserhöh...