Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung für den Irak
Leitsatz (amtlich)
1. Zum länderübergreifenden Problem des effektiven staatlichen Schutzes im Herkunftsland.
2. Der Widerruf der Anerkennung von Abschiebungsschutz für irakische Staatsangehörige durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist regelmäßig rechtmäßig.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 II ff. AufenthaltsG liegen für irakische Staatsangehörige in der Regel nicht vor.
4. Insbesondere ist für den Irak ungeachtet der instabilen Sicherheitslage keine Extremgefahr nach § 60 VII AufenthaltsG zu bejahen.
Normenkette
AufenthaltsG § 60 II, § 60 VII
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, der irakischer Staatsangehöriger ist, wurde am …1964 in der Region Sulaymania/Nordirak geboren. Er gehört der Volksgruppe der Kurden und der Religionsgruppe der Sunniten an. Nach einer Ausbildung als Kfz-Mechaniker und Wehrdienstableistung war er in Bagdad in einem staatlichen Betrieb als Industrielehrer tätig.
Am 29.11.1995 reiste er von Bagdad aus kommend in Deutschland auf dem Landweg ein und stellte unter Vorlage eines irakischen Personalausweises am 7.12.1995 einen Asylantrag.
Bei seiner persönlichen Anhörung am 13.12.1995 (Behördenakte Bl. 18 ff.) trug er zur Begründung im Wesentlichen vor, er habe nach Ableistung seines Militärdienstes von 1987 bis 1991 sodann in einem staatlichen Betrieb in Bagdad gearbeitet, und zwar ab 1993 als Industrielehrer. In diesem Betrieb seien Militärfahrzeuge wie Panzer und andere Fahrzeuge repariert worden. Über diese Fahrzeuge und Geräte habe er Leute der kurdischen Partei PUK im Nordirak informiert. Er sei nur Sympathisant dieser Partei und Mitglied einer Unterorganisation gewesen. Am 1.11.1995 sei er vom Sicherheitsbeauftragten des Betriebs gewarnt worden, dass wegen der Weitergabe militärischer Informationen an seine Leute im Nordirak von der PUK ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden sei. Er sei bereits während seiner Militärzeit im Jahr 1990 wegen des gleichen Grundes festgenommen und nach zwei Monaten mangels Beweisen freigelassen worden. Am 2.11.1995 habe er Bagdad verlassen und sei über die Türkei nach Deutschland gelangt. Im Falle seiner Rückkehr in den Irak befürchte er, wegen Hochverrats und Desertion hingerichtet zu werden.
Durch Bescheid vom 4.3.1996 (Behördenakte Bl. 32) wurde der Asylantrag des Klägers mit Blick auf die Drittstaatenregelung abgelehnt, indessen Abschiebungsschutz „aufgrund des von dem Antragsteller” geschilderten Sachverhalts (Bescheid S. 3) bejaht, da bereits die Asylantragstellung zu Verfolgungsmaßnahmen durch das irakische Regime führe.
Nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003 leitete die Beklagte mit Vermerk vom 30.8.2004 (Widerrufsakte Bl. 1) das Widerrufsverfahren mit Blick auf die neuen Verhältnisse im Irak ein und hörte den Kläger mit Schreiben vom 2.9.2004 zu dem beabsichtigten Widerruf an.
In dem Anhörungsverfahren machte der Kläger mit Schreiben vom 29.9.2004 (Widerrufsakte Bl. 13) geltend, auch nach der Entmachtung Saddam Husseins sei von dessen Anhängern bei einer heutigen Rückkehr in den Irak weiterhin politische Verfolgung wegen Landesverrats zu befürchten. Eine grundlegende Veränderung der politischen Situation liege im Irak nach wie vor nicht vor. Es widerspreche der humanitären Intention der Genfer Flüchtlingskonvention, bei nicht hinreichend stabiler Veränderung der Verhältnisse im Heimatland einen einmal gewährten Flüchtlingsstatus zu entziehen. Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft bedürfe eines Grundmaßes an Stabilität, wovon im Irak auch nach dem Sturz Saddam Husseins nicht die Rede sein könne. Auch bestehe keine ausreichende wirtschaftliche Existenzsicherung für Rückkehrer, was als zwingender Grund der Rückkehr entgegenstehe. Die Strukturen des ehemaligen Regimes Saddam Husseins seien bislang nicht zerschlagen.
Mit Bescheid vom 19.10.2004 (Widerrufsakte Bl. 18) widerrief die Beklagte die Flüchtlingsanerkennung in ihrem früheren Bescheid vom 4.3.1996 und stellte zusätzlich fest, Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG lägen nicht vor. Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, dass sich die politische Situation im Irak grundlegend verändert habe und es keine Anhaltspunkte für eine Wiedererlangung der Macht durch das alte Regime gebe. Von der irakischen Übergangsregierung sei eine politische Verfolgung des Klägers nicht zu erwarten. Weiterhin sei es nicht nachvollziehbar, dass eine politisch motivierte Verfolgung des Klägers von Anhängern des alten Regimes ausgehe. Der Widerrufsbescheid wurde am 21.10.2004 zur Post gegeben.
Am 28.10.2004 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Seine ursprüngliche Anerkennung beruhe auf seinem individuellen Verfolgungsschicksal. Bei seiner Anhörung am 13.12.1995 habe er militärischen Gehe...