Leitsatz (amtlich)
1) Die Bundesregierung hat die Verbandskompetenz, die Bevölkerung zu informieren und vor Gesundheitsschäden zu warnen.
2) Die Herausgabe der Liste diethylenglykolhaltiger Weine war rechtmäßig (Bestätigung des Senatsbeschlusses v. 19.11.1985 – 13 B 2140/85 –).
Normenkette
GG Art. 12, 14, 30
Verfahrensgang
VG Köln (Aktenzeichen 1 K 1228/86) |
Nachgehend
Tatbestand
In der vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit (BMJFG) im Sommer 1985 herausgegebenen und zuletzt unter dem 17.12.1985 aktualisierten Liste diethylenglykolhaltiger Weine sind auch sieben von der Kl. abgefüllte und vertriebene österreichische Weine mit einem festgestellten Gehalt an Diethylenglykol (DEG) zwischen 0,15 und 4,5 g/l aufgeführt und ist die Kl. als Abfüllerin genannt.
Die Klage auf Unterlassung der Verbreitung der Liste DEG-haltiger Weine mit Angabe von der Kl. abgefüllter Weine, hilfsweise der Kl. als Abfüllerin dieser Weine (Antrag zu 1) und auf Verurteilung der Bekl., durch Pressemitteilung zu veröffentlichen, daß die Angabe von der Kl. abgefüllter Weine, hilfsweise der Kl. als Abfüllerin dieser Weine in der Liste DEG-haltiger Weine rechtswidrig war (Antrag zu 2), wie auch mit dem Hilfsantrag festzustellen, daß die Angabe von der Kl. abgefüllter Weine, hilfsweise der Kl. als Abfüllerin dieser Weine in der Liste DEG-haltiger Weine rechtswidrig war (Antrag zu 3), blieb in beiden Instanzen erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die Anträge könnten allenfalls dann Erfolg haben, wenn die beanstandeten Maßnahmen der Bekl. rechtswidrig wären. Das ist jedoch nicht der Fall, so daß offenbleiben kann, ob die Rechtsgrundlage der geltend gemachten Ansprüche aus der entsprechenden Anwendung des § 1004 BGB, aus dem Institut des Folgenbeseitigungsanspruchs oder aus den als verletzt angesehenen Grundrechten unmittelbar herzuleiten gewesen wäre.
Der Kl. kann zunächst nicht darin gefolgt werden, daß der Bekl. die sachliche Zuständigkeit (Verbandskompetenz) zur Herausgabe der Liste DEG-haltiger Weine gefehlt habe. Die Verbandskompetenz dient der Aufgabenabgrenzung zwischen verschiedenen selbständigen Verwaltungsträgern und damit der Sicherung der Verwaltungshoheit des Bundes, der Länder, der Kommunen sowie sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts.
Vgl. OVG NW, Urt. v. 3.10.1978 – XV A 1927/75 –, OVGE 33, 274, 275 m.w.N.
Nach Art. 30 GG ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt. Dies gilt sowohl dann, wenn es um die Ausführung von Gesetzen geht, als auch für die gesetzesfreie Erfüllung öffentlicher Aufgaben.
Vgl. BVerfG, Urt. v. 28.2.1961 – 2 BvG 1, 2/60 –, BVerfGE 12, 205, 246 f.
Die Herausgabe der strittigen Liste fällt jedoch unter die Ausnahme nach Art. 30 GG, da das Grundgesetz insofern eine andere Regelung jedenfalls zugelassen hat.
Es gibt ureigene Rechte der Bundesregierung,
vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.4.1984 – 7 B 20.83 –, NJW 1984, 2591 und OVG NW, Urt. v. 18.12.1985 – 5 A 1125/84 –,
die in ihrem kompetenzrechtlich vermittelten organschaftlichen Status (Art. 62 ff. GG) wurzeln.
Vgl. Bethge, Zur „Meinungsfreiheit” der Bundesregierung, NJW 1985, 721.
Ähnlich wird trotz Fehlens einer ausdrücklichen Erwähnung aus Art. 38 Abs. 1 GG die Redefreiheit des Abgeordneten im Parlament
vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.6.1982 – 2 BvE 2/82 –, BVerfGE 60, 374, 379 f.; von Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl., Bd. 1 1985, Rz 116; Bethge, a.a.O.,
und aus Art. 65 GG das Äußerungsrecht des Bundeskanzlers sowie der Bundesminister abgeleitet.
Vgl. Maunz/Dürig/Herzog, GG, Stand: Mai 1986, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rz 108; von Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O.
In diesem Sinne hat auch der 20. Senat des erkennenden Gerichts ein Recht der (Landes-)Regierung und ihrer Mitglieder, sich zu aktuellen Fragen öffentlich zu äußern, aus Art. 55 Abs. 2 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen abgeleitet.
Vgl. Beschl. v. 31.8.1984 – 20 B 1361/84 –, DÖV 1985, 285.
Schließlich werden Anregungen der Bundesregierung als unter dem Gesichtspunkt des Art. 30 GG bedeutungslose Tätigkeit angesehen
vgl. BVerfG, Urt. v. 18.7.1967 – 2 BvF 3/62 u.a. –, BVerfGE 22, 180, 216,
weil ein solches Recht zu Anregungen der Bundesregierung wesensimmanent ist.
Nach der Überzeugung des Senats gehört zu den ihrem Wesen immanenten ureigenen Rechten der Bundesregierung auch das Recht, die Bevölkerung über Gefahren aufzuklären, die das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf körperliche Unversehrtheit berühren könnten, und gezielte Warnungen auszusprechen.
Vgl. OVG NW, Urt. v. 18.12.1985.
Dieses Recht kann im Rahmen seines Handlungs- und Aufgabenbereichs auch von einem Bundesminister ausgeübt werden. Bei der Herausgabe der Liste DEG-haltiger Weine hat sich der BMJFG im Rahmen seines Handlungs- und Aufgabenbereichs gehalten, wie sich aus der Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Bundesm...