Das Wichtigste in Kürze:

1. Pflichtverteidigerbestellungen kommen in Bußgeldsachen bislang eher selten vor, sind aber grundsätzlich möglich.
2. Der Betroffene kann sich gem. § 137 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 einen (Wahl-)Verteidiger als Beistand wählen. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln.
3. Im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde gilt über § 60 nur § 140 Abs. 2 StPO.
4. Im gerichtlichen Bußgeldverfahren gilt auch § 140 Abs. 1 StPO.
5. Darüber hinaus findet die Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO Anwendung.
6. Für das Beiordnungsverfahren gelten die allgemeinen Regeln.
 

Rdn 2889

 

Literaturhinweise:

Beutel, Zur rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung, NStZ 2022, 328

Bleckat, Zulässigkeit der nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers, StraFo 2022, 182

Böß, Das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, NStZ 2020, 185

Burhoff, Rechtsprechungsübersicht zum Recht der Pflichtverteidigung 2021/2022, StRR 8/2021, 5

ders., Pflichtverteidigung in straßenverkehrsrechtlichen Mandaten – Teil 1 Bestellungsgründe, VA 2022, 144

ders., Pflichtverteidigung in straßenverkehrsrechtlichen Mandaten – Teil 2 Bestellungsverfahren, VA 2022, 166

ders., Rechtsprechungsübersicht zum Recht der Pflichtverteidigung 2021/2022, StRR 8/2022, 5

ders., Rechtsprechungsübersicht zum Recht der Pflichtverteidigung, StraFo 2023, 206

Fromm, Verteidigerbeiordnung im verkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren, NJW 2013, 2006

Hamm, Notwendige Verteidigung bei behinderten Beschuldigten, NJW 1988, 1820

Hillenbrand, Das neue Recht der Pflichtverteidigung, ZAP F. 22, S. 983

ders., Das neue Recht der Pflichtverteidigung – Teil I, StRR 2/2020, 4

ders., Das neue Recht der Pflichtverteidigung – Teil II, StRR 3/2020, 4

ders., Die Vergütung des Pflichtverteidigers als notwendiges Element eines fairen Verfahrens, StRR 3/2022, 5

Hunsmann, Die Mitwirkung hör-, seh- und sprachbehinderter Personen im Strafverfahren, StRR 2014, 324

Krenberger, Pflichtverteidigung in Bußgeldsachen – weiterhin nur ein Ausnahmefall, zfs 2013, 69

Molketin, Die notwendige Verteidigung bei Verkehrsdelikten, NZV 1989, 93

Oellerich, Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung und Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung, StV 1981, 434

Scholler, Nachträgliche Pflichtverteidigerbeiordnung: Essential Legal Aid oder Mission Impossible?, StV-S 2021, 159

s. auch die Hinw. bei Burhoff, EV, Rn 3305.

 

Rdn 2890

1.a) Pflichtverteidigerbestellungen kommen in Bußgeldsachen eher selten vor. Dies erstaunt, da auch in verkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren Konstellationen denkbar sind, die eine Pflichtverteidigerbestellung notwendig machen können (vgl. z.B. OLG Saarbrücken NJW 2007, 309 = VRS 112, 54 [Bestellung im Vorverfahren nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.]; u.a. auch OLG Bremen DAR 2009, 710 = VRR 2009, 356 = StRR 2009, 343; OLG Köln StV 2012, 455 [bejaht für die Fälle, in denen es um die Verwertbarkeit einer Blutprobe geht, die unter Verletzung des Richtervorbehalts entnommen worden ist]).

 

Rdn 2891

b) Grds. ist aber auch in Bußgeldverfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers möglich. Allerdings ist zwischen dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (vgl. Rdn 2893) und dem gerichtlichen Bußgeldverfahren zu unterscheiden (vgl. Rdn 2894 ff.; zum gerichtlichen Verfahren Fromm NJW 2013, 2006). In straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren wird die Beiordnung eines Pflichtverteidigers allerdings eher (immer noch) die Ausnahme sein (Bay, Beschl. v. 21.11.2022 – 201 ObOWi 1363/22, NZV 2023, 281; LG Berlin, Beschl. v. 24.9.2018 – 538 Qs 99/18, VRS 134, 184; vgl. aber z.B. LG Mainz NZV 2009, 404 = VRR 2009, 395 = StRR 2009, 307; so auch, aber insgesamt – zum alten Recht – zu restriktiv, Krenberger zfs 2013, 69).

 

☆ Durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung v. 10.12.2019 ist mit Wirkung von 13.12.2020 das Recht der Pflichtverteidigung in den §§ 140 ff. StPO umfassend geändert worden (eingehend Hillenbrand ZAP F. 22, S. 983 ff.; ders ., StRR 2/2020, 4 ff. und StRR 3/2020, 4; weitere Hinw. bei Burhoff , EV, Rn 3305). Diese Änderungen gelten über § 60 OWiG ggf. auch im Bußgeldverfahren. Der Verteidiger muss zudem die Rspr. zum alten Recht immer darauf prüfen, ob sie auch für die Neuregelungen gilt."Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung" v. 10.12.2019 ist mit Wirkung von 13.12.2020 das Recht der Pflichtverteidigung in den §§ 140 ff. StPO umfassend geändert worden (eingehend Hillenbrand ZAP F. 22, S. 983 ff.; ders., StRR 2/2020, 4 ff. und StRR 3/2020, 4; weitere Hinw. bei Burhoff, EV, Rn 3305). Diese Änderungen gelten über § 60 OWiG ggf. auch im Bußgeldverfahren. Der Verteidiger muss zudem die Rspr. zum alten Recht immer darauf prüfen, ob sie auch für die Neuregelungen gilt.

Als Faustregel wird man aber davon ausgehen können, dass immer dann, wenn nach altem Recht ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist, dies auch nach neuem Recht der Fall sein muss, denn die Neuregelung hat eine Ausweitung des rechtlichen Beistands zum Zie...

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