Detlef Burhoff, Annika Hirsch
Rdn 3826
Literaturhinweise:
Allgayer, Vertretung bei Einlegung sowie Begründung von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen, NStZ 2016, 192
Brangsch, Kann ein Rechtsanwalt mittelbar oder unmittelbar zur Pflichtverteidigung gezwungen werden?, AnwBl 1972, 15
Hillenbrand, "Herr Pflichtverteidiger, Sie sind gefeuert!" – Aufhebung der Bestellung wegen grober Pflichtverletzung (OLG Celle, Beschl. v. 2.5.2023 – 5 StS 2/22)
Jahn, Das Zivilrecht der Pflichtverteidigung, JR 1999, 1
Müller, Pflichtverteidiger – Verteidiger wessen Vertrauens?, StV 1981, 570
Münchhalffen, Rechtliche und tatsächliche Benachteiligungen des Pflichtverteidigers gegenüber dem Wahlverteidiger, StraFo 1997, 230
Schoeller, Die Praxis der Beiordnung von Pflichtverteidigern, 2016
ders., Von der Istbeschaffenheit der Pflichtverteidigerbeiordnung – Aus einer aktenanalytischen Studie zur Praxis der Beiordnung von Pflichtverteidigern, StV 2017, 194
s. insbesondere auch die Hinw. bei → Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3420, und bei → Verteidiger, Stellung, Teil P Rdn 5218.
Rdn 3827
1. Die Pflichtverteidigerbestellung ist nach st. Rspr. des BVerfG eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken (u.a. BVerfG NJW 2004, 1305). Die Wirkung der Beiordnung besteht nach h.M. in der Begründung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht des Verteidigers, bei der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens, insbesondere in der HV, durch (sachgerechte) Verteidigung des Angeklagten mitzuwirken (statt aller Meyer-Goßner/Schmitt, § 142 Rn 59 m.w.N.; str., a.A. LR-Jahn, vor § 137 Rn 65 ff. unter Hinw. darauf, dass es für die öffentlich-rechtliche Komponente in den §§ 137 ff. keinen Anknüpfungspunkt gebe; → Pflichtverteidiger, Stellung, Teil P Rdn 3765).
☆ Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Pflichtverteidiger andere Aufgaben als der Wahlverteidiger hätte oder dass er gesteigerte Kooperations- und Mitwirkungspflichten gegenüber dem Gericht einhalten müsste (zu – vermeintlichen – (Pflicht)Verteidigerpflichten Hillenbrand , StRR 9/2023, 6; s.a. MüKo-StPO/ Kämpfer/Travers , § 142 Rn 36). Der Pflichtverteidiger ist nicht nur Mitgarant staatlicher Prozessziele, sondern nimmt eine öffentliche Funktion wahr, ohne dass seine Stellung dadurch eine staatliche würde. Der Pflichtverteidiger hat vielmehr ebenso wie der Wahlverteidiger eine ungeschmälerte Beistandspflicht und darf und muss wie der Wahlverteidiger den Mandanten im Rahmen der Gesetze ggf. einseitig verteidigen ( Müller StV 1981, 575; OLG Hamburg NJW 1998, 621; zum Zustand der Pflichtverteidigung Schoeller , a.a.O.; ders. , StV 2017, 194). Er ist kein Verteidiger zweiter Klasse .Hillenbrand, StRR 9/2023, 6; s.a. MüKo-StPO/Kämpfer/Travers, § 142 Rn 36). Der Pflichtverteidiger ist nicht nur Mitgarant staatlicher Prozessziele, sondern nimmt eine öffentliche Funktion wahr, ohne dass seine Stellung dadurch eine staatliche würde. Der Pflichtverteidiger hat vielmehr ebenso wie der Wahlverteidiger eine ungeschmälerte Beistandspflicht und darf und muss wie der Wahlverteidiger den Mandanten im Rahmen der Gesetze ggf. einseitig verteidigen (Müller StV 1981, 575; OLG Hamburg NJW 1998, 621; zum Zustand der Pflichtverteidigung Schoeller, a.a.O.; ders., StV 2017, 194). Er ist kein Verteidiger zweiter Klasse.
Rdn 3828
2. Die Bestellung als Pflichtverteidiger ist auf die Person beschränkt. Eine Unterbevollmächtigung ist nicht zulässig (→ Pflichtverteidiger, Umfang der Beiordnung, Teil P Rdn 3790 f.). Wird der bisherige Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt, erlischt damit dessen Vollmacht (→ Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3419; → Verteidiger, Vollmacht des Verteidigers, Teil P Rdn 5307).
Rdn 3829
3.a) Grds. ist ein Rechtsanwalt gem. § 49 Abs. 1 BRAO zur Übernahme von Pflichtverteidigungen verpflichtet; in der Praxis wird er allerdings wohl kaum gegen seinen erklärten Willen bestellt werden. Liegen im Einzelfall wichtige Gründe vor, kann der Rechtsanwalt gem. § 48 Abs. 2 BRAO beantragen, von der beabsichtigten Beiordnung abzusehen oder eine Bestellung aufzuheben (LR-Jahn, § 142 Rn 30 ff. m.w.N.). Wichtige Gründe i.S.v. §§ 49 Abs. 2, 48 Abs. 2 BRAO werden i.d.R. die sein, die gem. § 142 Abs. 5 S. 3 einer Beiordnung entgegenstehen oder zur Entpflichtung des Verteidigers nach § 143a führen können (→ Pflichtverteidiger, Entpflichtung, Teil P Rdn 3642).
Rdn 3830
b) Einen Sonderfall, in dem der Verteidiger seine Entpflichtung beantragen kann, regelt der im Rahmen der Reform des Beiordnungsrechts.2019 neu geschaffene § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 2. Hiernach kann der Verteidiger, der für eine Vorführung vor den nächsten Richter gem. § 115a bestellt wurde, insbesondere wegen unzumutbarer Entfernung zum künftigen Aufenthaltsort des Beschuldigten seine Entpflichtung verlangen. Der entsprechende Antrag muss aber unverzüglich gestellt werden (→ Pflichtverteidiger, Entpflichtung/Verteidigerwechsel, Teil P Rdn 3659).
Siehe auch: → Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3419, m.w.N.