Detlef Burhoff, Annika Hirsch
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Aufgrund der Änderungen durch das "Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts" ist seit 2017 in § 163a Abs. 4 S. 3 i.V.m. § 168c Abs. 1 gesetzlich geregelt, dass dem Verteidiger während der polizeilichen Vernehmung seines Mandanten ein Anwesenheitsrecht zusteht. |
2. |
Der Verteidiger sollte sein Anwesenheitsrecht nach Möglichkeit wahrnehmen. Wird der Verteidiger zu einer Vernehmung hinzu gerufen, kann ihm die Kontaktaufnahme mit seinem Mandanten nicht verwehrt werden. |
3. |
Dem Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten entspricht die sich aus §§ 163a Abs. 4 S. 3, 168c Abs. 5 S. 1 ergebende Benachrichtigungspflicht. |
4. |
In Betracht kommt ggf. auch die Anwesenheit anderer Personen als der des Verteidigers. |
Rdn 3879
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Polizeiliche Vernehmung, Beschuldigter, Allgemeines, Teil P Rdn 3874, und bei → Beweisverwertungsverbote, Allgemeines, Teil B Rdn 1287, bei → Unzulässige Vernehmungsmethoden, Teil U Rdn 4776, bei → Vernehmungen, Allgemeines, Teil V Rdn 4966, bei → Vernehmungsbegriff, Teil V Rdn 4977 und bei → Vorführung des Beschuldigten, Teil V Rdn 5479.
Rdn 3880
1.a) Bis zum Inkrafttreten der Änderungen in § 163a Abs. 4 (Teil P Rdn 3879) im Jahr 2017 war in der StPO nicht geregelt, ob dem Verteidiger während der polizeilichen Vernehmung (zum Begriff u.a. OLG Hamburg NStZ 2010, 716) seines Mandanten ein Anwesenheitsrecht zustand. Die h.M. hatte das bis zuletzt aufgrund eines Umkehrschlusses aus der Regelung in § 163a Abs. 3 a.F. i.V.m. § 168c verneint (BVerfG NJW 2007, 204 [verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden]; dazu u.a. Meyer-Goßner/Schmitt [60. Aufl.], § 163 Rn 16 m.w.N. auch zur a.A.), während in der Lit. die Stimmen zunahmen, die dem Verteidiger ein Anwesenheitsrecht zubilligen wollten (s. die weit. Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; wohl auch Eisenberg [9. Aufl.], Rn 516 f., m.w.N., und Werner, a.a.O.). Auch der EGMR hatte in seiner Rspr. den Beistand des Verteidigers schon bei der (ersten) (polizeilichen) Vernehmung gefordert (u.a. NJW 2009, 3707 [Salduz] m. Anm. J. Herrmann; NJW 2012, 3709 [Stojkovic]; StRR 2011, 142 [Zeichencode] m. Anm. Sommer).
Rdn 3881
b)aa) An der Stelle ist dann durch das "Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts" v. 27.8.2017 (BT-Drucks. 18/9534) eine wesentliche Änderung eingetreten.
Rdn 3882
In § 163a Abs. 4 S. 3 wird nach diesen Änderungen auf § 168c Abs. 1 und 5 verwiesen; diese gelten für den Verteidiger entsprechend. In § 168c Abs. 1 und 5 wird aber dem Verteidiger (bei der richterlichen Vernehmung) ein Anwesenheitsrecht (Abs. 1) und das Recht auf Benachrichtigung (Abs. 5) eingeräumt. Diese Änderungen der StPO gehen zurück auf die Richtlinie 2013/48/EU (Ablauf 2013 L 294 v. 6.11.2013, S. 1–12). Diese sah vor, den Zugang zum Verteidiger schon zum früheste möglichen Zeitpunkt zu garantieren (abrufbar unter http://db.eurocrim.org/db/de/doc/1997.pdf). Nach der RiLi hat der Beschuldigte von Beginn der polizeilichen Vernehmung an bis zum Abschluss des Strafverfahrens einen Anspruch auf Rechtsbeistand. Diese Vorgaben sind mit der Neuregelung des § 163a Abs. 4 S. 3 umgesetzt (krit. zur Regelung – aus staatsanwaltlicher Sicht – SSW-StPO-Ziegler, § 163a Rn 37 [hätte genügt, alte Rechtslage beizubehalten]; krit. aus anwaltlicher Sicht Wolf StraFo 2022, 185).
☆ § 163a Abs. 4 S. 3 setzt für das Anwesenheitsrecht aber voraus, dass der Beschuldigte bereits einen Verteidiger hat . Aus der Regelung kann nicht der Schluss gezogen werden, dass dem (noch) verteidigungslosen Beschuldigten ggf. erst ein Pflichtverteidiger bestellt werden muss. Die Fragen der Erforderlichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung richten sich vielmehr nach dem Recht der Pflichtverteidigung in den §§ 140 ff., die durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung v. 10.12.2019, neu gestaltet sind. Die sind daher dargestellt bei → Pflichtverteidiger, Zeitpunkt der Beiordnung , Teil P Rdn 3831 ; aus der Lit. zum neuen Recht Bleckat StV 2021, 820; Galneder/Ruppert StV 2021, 202; Elobied StraFo 2022, 230; Kraft/Girkens NStZ 2021, 454; Laustetter/Voigt Krim 2021, 227; Schladitz HRRS 2022, 283; von Stetten StraFo 2023, 8). setzt für das Anwesenheitsrecht aber voraus, dass der Beschuldigte bereits einen Verteidiger hat. Aus der Regelung kann nicht der Schluss gezogen werden, dass dem (noch) verteidigungslosen Beschuldigten ggf. erst ein Pflichtverteidiger bestellt werden muss. Die Fragen der Erforderlichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung richten sich vielmehr nach dem Recht der Pflichtverteidigung in den §§ 140 ff., die durch das "Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung" v. 10.12.2019, neu gestaltet sind. Die sind daher dargestellt bei → Pflichtverteidiger, Zeitpunkt der Beiordnung, Teil P Rdn 3831; aus der Lit....