Rdn 3348

 

Literaturhinweise:

Staudinger, Dolmetscherzuziehung und/oder Verteidigerbeiordnung bei ausländischen Beschuldigten, StV 2002, 327

Strate, Pflichtverteidigung bei Ausländern, StV 1981, 46

s.a. die Hinw. bei → Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3305.

 

Rdn 3349

1.a) Ist der Beschuldigte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, muss die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geprüft werden, denn wer der HV aufgrund von Sprachschwierigkeiten nicht in dem für eine sachgerechte Verteidigung erforderlichen Umfang folgen kann, ist i.S.d. § 140 Abs. 2 "unfähig, sich selbst zu verteidigen" (vgl. u.a. BayObLG StV 1990, 103; OLG Karlsruhe StraFo 2002, 193; OLG Nürnberg NStZ-RR 2014, 83 m. Anm. Hillenbrand StRR 2014, 344; Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn 30b; SK-StPO-Wohlers, § 140 Rn 51 m.w.N. aus der Rspr.; LR-Jahn, § 140 Rn 103; Schmidt, Verteidigung von Ausländern, Rn 247 ff.; Heghmanns, in: HBStrVfKap. VI Rn 56 f.).

 

Rdn 3350

b) Allerdings ergibt sich aus der Ausländereigenschaft des Beschuldigten alleine die Notwendigkeit der Verteidigung noch nicht, und auch nicht jede Sprachschwierigkeit führt zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers (so zutr. LG Detmold, Beschl. v. 28.6.2016 – 21 Qs 49/16; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 27.11.2020 – 5 Qs 84/20). Die in der (zumeist älteren) Rspr. und Lit. teilweise vertretene Ansicht, dass bei Sprachschwierigkeiten immer oder zumindest i.d.R. ein Pflichtverteidiger zu bestellen sei (vgl. u.a. OLG Celle NStZ 1987, 521; OLG Karlsruhe NStZ 1987, 522; OLG Zweibrücken StV 1988, 379; LG Freiburg StV 1991, 296 [Ls.]; LG Köln StV 1990, 59; wohl auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn 30b [regelmäßig, aber nicht ausnahmslos]; KK-Willnow, § 140 Rn 24, jeweils m.w.N.; a.A. für ausländischen Jugendlichen LG Hamburg StV 1998, 327), geht vielmehr zu weit, da sie u.a. zu einer vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Erweiterung des § 140 führen würde. Zudem sieht § 187 GVG die Hinzuziehung eines Dolmetschers nur vor, soweit dies zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten erforderlich ist, der diesbezügliche Anspruch des Beschuldigten ist also beschränkt (vgl. KK-Diemer, § 187 GVG Rn 1). Dass der Gesetzgeber demgegenüber im Bereich der Pflichtverteidigung jedwedes Sprachproblem als für eine Beiordnung ausreichend angesehen hätte, ist nicht ersichtlich. Zudem geht auch aus der Entscheidung des BGH v. 26.10.2000 (BGHSt 46, 178) hervor, dass insbesondere im Bereich der Kleinkriminalität etwa bei geständigem Angeklagten oder einfacher Beweislage ohne weiteres Fallkonstellationen denkbar sind, in denen den Verteidigungsbedürfnissen des sprachunkundigen Angeklagten allein schon durch die Übersetzungsleistungen eines Dolmetschers in der Hauptverhandlung in vollem Umfang genügt werden kann.

 

Rdn 3351

Richtigerweise ist ein Pflichtverteidiger daher nicht ausnahmslos und unabhängig vom Gewicht des Verfahrensgegenstandes sowie der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage zu bestellen. Vielmehr wird er nur dann beigeordnet, wenn der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtige Beschuldigte im Einzelfall wegen konkreter Einschränkungen seiner Verteidigungsfähigkeit des Beistandes eines Verteidigers bedarf (vgl. u.a. BGHSt 46, 178; KG StRR 2013, 102; 2014, 2 [Ls.; jedenfalls dann, wenn die auf den sprachlichen Defiziten beruhende Behinderung der Verteidigungsmöglichkeiten durch die Hinzuziehung eines Dolmetschers in der HV nicht völlig ausgeglichen werden kann]; OLG Düsseldorf StV 1992, 363; OLG Frankfurt am Main StV 1997, 573 f.; 2008, 291; OLG Köln NJW 1991, 2223 f.; eingehend Staudinger StV 2002, 327 ff.; vgl. a. noch LG Freiburg StV 2016, 487 [schwierige Sach- und Rechtslage]; LG Karlsruhe StraFo 2018, 196). Das gilt vor allem dann, wenn die Anklageschrift nicht übersetzt worden ist (OLG Frankfurt am Main StV 2008, 291; LG Flensburg, Beschl. v. 20.11.2012 – II Qs 68/12; LG Karlsruhe StV 2005, 655; dazu auch – enger, nämlich unter Berücksichtigung des § 187 GVG – OLG Nürnberg NStZ-RR 2014, 183 und Hillenbrand StRR 2014, 44, 46; → Übersetzung von Aktenbestandteilen, Teil U Rdn 4432) oder der Beschuldigte eine Einreisebewilligung benötigt (OLG Stuttgart StV 2005, 657).

 

☆ Der Verteidiger muss immer sorgfältig prüfen , ob in diesen Fällen seine Beiordnung als Pflichtverteidiger nicht auch deshalb in Betracht kommt, weil sonstige, andere Gründe zur Annahme einer schwierigen Sach- oder Rechtslage führen oder die Schwere der Tat/der erwarteten Rechtsfolge die Bestellung eines Verteidigers gebietet (vgl. die Abwägung aller Umstände bei KG StRR 2014, 2 [Ls.; für Aussage-gegen-Aussage-Konstellation]; → Pflichtverteidiger, Beiordnung wegen Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage , Teil P Rdn  3475 ). So können etwa im Verurteilungsfall drohende aufenthaltsrechtliche Konsequenzen bei der Prüfung des § 140 Abs. 2 in die Erwägungen einzubeziehen sein (LG Hof, Beschl. v. 25.11.2015 – 4 Qs 153/15; vgl. aber auch LG Kaiserslautern, Beschl. v. 27.11.2020 – 5 Qs 84/20 [nicht, wenn trotz der möglichen...

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