Das Wichtigste in Kürze:

1. Der vierte Fall der Generalklausel des § 140 Abs. 2 S. 1 sieht die Bestellung eines Pflichtverteidigers vor, wenn der Beschuldigte unfähig ist, sich selbst zu verteidigen.
2. Im Einzelnen können allgemeine Umstände dazu führen, dass die Verteidigungsfähigkeit des Beschuldigten eingeschränkt ist und daher die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung geboten ist.
3. Die Bestellung des Pflichtverteidigers kann auch aus besonderen persönlichen Gründen erforderlich sein.
4. In der Praxis spielen schließlich die Fragen, die mit der anwaltlichen Vertretung anderer Verfahrensbeteiligter, wie z.B. Mitbeschuldigte/Mitangeklagte oder Nebenkläger/Verletzte, zusammenhängen, eine Rolle.
 

Rdn 3497

 

Literaturhinweise:

Brause, Faires Verfahren und Effektivität im Strafprozeß, NJW 1992, 2865

Deutscher, Neue Regelungen zum Opferschutz und zur Stärkung der Beschuldigtenrechte im Strafverfahren, StRR 2013, 324

Eisenberg, Referentenentwurf des BMJ "Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG)" 2010, HRRS 2011, 65

­Fischer/Gauggel/Lämmler, Möglichkeiten der neurologischen Prüfung der Verteidigungsfähigkeit, NStZ 1994, 316

­Hillenbrand, Die notwendige Verteidigung gem. § 140 StPO im Strafverfahren vor dem Amtsgericht – Teil 2, StRR 2014, 44

Hunsmann, Die Mitwirkung hör-, seh- und sprachbehinderter Personen im Strafverfahren, StRR 2014, 324

Ostendorf, Die Pflichtverteidigung in Jugendstrafverfahren, StV 1986, 308

s.a. die Hinw. bei → Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3305, und bei → Pflichtverteidiger, Beiordnung wegen Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, Teil P Rdn 3476.

 

Rdn 3498

1. Der vierte Fall der Generalklausel des § 140 Abs. 2 S. 1 sieht die Bestellung eines Pflichtverteidigers vor, wenn der Beschuldigte unfähig ist, sich selbst zu verteidigen (zur gem. § 60 OWiG zulässigen Bestellung im Bußgeldverfahren s. → Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Pflichtverteidigung, Teil B Rdn 1590, m.w.N.; im Strafvollstreckungsverfahren → Pflichtverteidiger, Beiordnung in Strafvollstreckungsverfahren, Teil P Rdn 3372; → Jugendgerichtsverfahren, Besonderheiten, Teil J Rdn 2704).

 

☆ Der Beschuldigte kann sich dann nicht selbst verteidigen, wenn aus Gründen, die in seiner Person liegen oder die sich aus den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ergeben, nicht sicher gewährleistet ist, dass er in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen , seine Interessen zu wahren und alle seiner Verteidigung dienenden Handlungen vorzunehmen (KG StRR 4/2016, 2 [Ls.]; OLG Hamm NJW 2003, 3286; KK- Willnow , § 140 Rn 24 m.w.N.; auch Heghmanns , in: HBStrVf Kap. VI Rn 52 ff.; Hillenbrand StRR 2014, 44, 46). Es ist also nicht entscheidend, ob der Beschuldigte sich zur Sache zu äußern vermag. Vielmehr kommt es darauf an, ob er selbst in der Lage ist, sein wohlverstandenes eigenes Interesse wahrzunehmen und in der HV sachdienliche Anträge zu stellen (OLG Zweibrücken NStZ 1986, 135; OLG Düsseldorf NJW 1964, 877). Die Unfähigkeit, sich selbst zu ­verteidigen, muss nicht zweifelsfrei zur Überzeugung des Gerichts feststehen; es genügt vielmehr, dass erhebliche Zweifel an der Selbstverteidigungsfähigkeit vorhanden sind (OLG Celle, Beschl. v. 3.12.2019 – 2 Ws 352/19; LG Dortmund, Beschl. v. 21.3.2019 – 35 Qs 9/19; LG Koblenz, Beschl. v. 18.3.2020 – 12 Qs 15/20; Meyer-Goßner/Schmitt , § 140 Rn 30a).nicht sicher gewährleistet ist, dass er in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen, seine Interessen zu wahren und alle seiner Verteidigung dienenden Handlungen vorzunehmen (KG StRR 4/2016, 2 [Ls.]; OLG Hamm NJW 2003, 3286; KK-Willnow, § 140 Rn 24 m.w.N.; auch Heghmanns, in: HBStrVf Kap. VI Rn 52 ff.; Hillenbrand StRR 2014, 44, 46). Es ist also nicht entscheidend, ob der Beschuldigte sich zur Sache zu äußern vermag. Vielmehr kommt es darauf an, ob er selbst in der Lage ist, sein wohlverstandenes eigenes Interesse wahrzunehmen und in der HV sachdienliche Anträge zu stellen (OLG Zweibrücken NStZ 1986, 135; OLG Düsseldorf NJW 1964, 877). Die Unfähigkeit, sich selbst zu ­verteidigen, muss nicht zweifelsfrei zur Überzeugung des Gerichts feststehen; es genügt vielmehr, dass erhebliche Zweifel an der Selbstverteidigungsfähigkeit vorhanden sind (OLG Celle, Beschl. v. 3.12.2019 – 2 Ws 352/19; LG Dortmund, Beschl. v. 21.3.2019 – 35 Qs 9/19; LG Koblenz, Beschl. v. 18.3.2020 – 12 Qs 15/20; Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn 30a).

 

Rdn 3499

2. Im Einzelnen können allgemeine Umstände dazu führen, dass die Verteidigungsfähigkeit des Beschuldigten eingeschränkt ist und daher die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung erforderlich ist.

 

Rdn 3500

Dazu folgende Beispielsfälle aus der Rspr.:

 

Allgemeine Umstände

bei AIDS-Erkrankung, weil der Beschuldigte ggf. nicht mehr "wehrhaft" genug ist, sich selbst zu verteidigen (LG Berlin StraFo 2002, 90; Dencker StV 1992, 132 m.w.N.),
wenn bei dem zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisierten Angeklagten langjährige Alkoholabhängigkeit...

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