Das Wichtigste in Kürze:

1. Unter den Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 können dem Beschuldigten zu seinem bestellten oder gewählten Verteidiger bis zu zwei Pflichtverteidiger zusätzlich bestellt werden.
2. Die Bestellung zusätzlicher Pflichtverteidiger kommt in Betracht, wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist.
3. Ein Pflichtverteidiger kann auch neben einem Wahlverteidiger beigeordnet werden.
4. Für die Auswahl und das Verfahren der Beiordnung des zusätzlichen Pflichtverteidigers gelten die allgemeinen Regeln.
5. Die Bestellung des zusätzlichen Pflichtverteidigers ist aufzuheben, sobald seine Mitwirkung zur zügigen Durchführung des Verfahrens nicht mehr erforderlich ist.
 

Rdn 3571

 

Literaturhinweise:

Böß, Das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, NStZ 2020, 185

Fromm, Beschränkung der Verteidigung durch das Auftreten eines "Ersatzverteidigers" im strafrechtlichen Großverfahren? Über die weiterreichenden Konsequenzen aus dem Urteil des BGH vom 20.6.2013 (2 StR 113/13), ZWH 2016, 221

Haffke, Zwangsverteidigung – notwendige Verteidigung – Pflichtverteidigung – Ersatzverteidigung, StV 1981, 471

Hillenbrand, Das neue Recht der Pflichtverteidigung, StRR 3/2020, 4

Neumann, Die Kostentragungspflicht des verurteilten Angeklagten hinsichtlich der Gebühren und Auslagen des "Zwangsverteidigers", NJW 1991, 264

Müller-Jacobsen, Das neue Recht der notwendigen Verteidigung, NJW 2020, 757

Pätzel, Die Beiordnung zusätzlicher Pflichtverteidiger als Steuerungsinstrument in Strafverfahren, NStZ 2021, 257

Römer, Pflichtverteidiger neben Wahlverteidiger? Der aufgenötigte Pflichtverteidiger, ZRP 1977, 92

Rieß, Pflichtverteidigung – Zwangsverteidigung – Ersatzverteidigung – Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1981, 460

Rudolph, Die jüngsten Änderungen des Strafprozeßrechts und Probleme der Pflichtverteidigung, in: Festschrift für Schmidt-Leichner, 1977, S. 168

ders., Wahlverteidiger – Pflichtverteidiger, DRiZ 1975, 210

Wächter, Ersatzverteidigung – eine Alternative zur Zwangsverteidigung, StV 1981, 466

Wegner, Strafverteidigung: Wie viele Pflichtverteidiger dürfen es sein?, PStR 2020, 128

Welp, Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 1978 (Band 90), S. 101

s.a. die Hinw. bei → Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3305, und bei → Terminsanberaumung/Nichtterminierung, Teil T Rdn 4402.

 

Rdn 3572

1. Nach dem Wortlaut des § 141 Abs. 1 S. 1 wird grds. "ein" Verteidiger bestellt. Unter den Voraussetzungen des durch das am 13.12.2019 in Kraft getretene "Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung" v. 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) neu eingefügten § 144 Abs. 1 (zu dieser Vorschrift Pätzel NStZ 2021, 257, 259) können dem Beschuldigten jedoch zu seinem bestellten oder gewählten Verteidiger bis zu zwei Pflichtverteidiger zusätzlich bestellt werden. Dies war bereits nach altem Recht zulässig (Meyer-Goßner/Schmitt, § 144 Rn 1).

 

Rdn 3573

2.a) Die Bestellung zusätzlicher Pflichtverteidiger, die im Ermessen des Vorsitzenden liegt, kommt in Betracht, wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist (§ 144 Abs. 1). Insoweit hat der Gesetzgeber bei der Reform des Rechts der notwendigen Verteidigung die bis dahin herrschende (und weiterhin anwendbare) Rspr. aufgegriffen, wonach die Bestellung von mehreren Pflichtverteidigern erfolgen konnte, wenn dafür wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit des Verfahrens ein unabweisbares Bedürfnis bestand (Meyer-Goßner/Schmitt, § 144 Rn 3).

 

Rdn 3574

Die Schaffung einer eigenständigen Regelung für die Bestellung zusätzlicher Verteidiger hat jedoch nichts daran geändert, dass grundsätzlich nur ein Verteidiger bestellt wird. Die Beiordnung eines zweiten oder gar dritten Pflichtverteidigers als Sicherungsverteidiger stellt weiterhin einen Ausnahmefall dar und ist daher ermessensfehlerhaft, wenn konkrete HV-Termine noch nicht bestimmt sind und zudem kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der aktive Erstverteidiger für mehrere Verhandlungstermine nicht zur Verfügung stehen wird (vgl. LG Köln StraFo 2015, 376).

 

Rdn 3575

Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Bestellung zusätzlicher Pflichtverteidiger kann auf die zum früheren Recht ergangene Rspr. zum Sicherungsverteidiger zurückgegriffen werden, wonach sich die Erforderlichkeit der Mitwirkung weiterer Pflichtverteidiger entweder aus der außergewöhnlichen Schwierigkeit bzw. dem außergewöhnlichen Umfang des Verfahrensstoffes oder der außergewöhnlichen Dauer der HV ergeben kann (BGH, Beschl. v. 31.8.2020 – StB 23/20; KG StV 2017, 155; Beschl. v. 15.8.2011 – 4 Ws 75/1; Beschl. v. 20.9.2013 – 4 Ws 122/13; OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.2.2006 – 1 Ws 25/06; OLG Hamburg, Beschl. v. 13.1.2020 – 2 Ws 3/20, StraFo 2020, 154; OLG Jena, Beschl. v. 7.10.2011 – 1 Ws 433/11; OLG Karlsruhe StraFo 2009, 518; LG Dessau-Roßlau StV 2016, 488 m. Anm. Rühlmann; LG Köln S...

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