Rdn 3663

 

Literaturhinweise:

Allgayer, Vertretung bei Einlegung sowie Begründung von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen, NStZ 2016, 192

Brangsch, Kann ein Rechtsanwalt mittelbar oder unmittelbar zur Pflichtverteidigung gezwungen werden?, AnwBl 1972, 15

Jahn, Das Zivilrecht der Pflichtverteidigung, JR 1999, 1

Müller, Pflichtverteidiger – Verteidiger wessen Vertrauens?, StV 1981, 570

Münchhalffen, Rechtliche und tatsächliche Benachteiligungen des Pflichtverteidigers gegenüber dem Wahlverteidiger, StraFo 1997, 230

Schoeller, Die Praxis der Beiordnung von Pflichtverteidigern, 2016

ders., Von der Istbeschaffenheit der Pflichtverteidigerbeiordnung – Aus einer aktenanalytischen Studie zur Praxis der Beiordnung von Pflichtverteidigern, StV 2017, 194

s. insbesondere auch die Hinw. bei → Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3305, und bei → Verteidiger, Stellung, Teil P Rdn 4968.

 

Rdn 3664

1. Die Pflichtverteidigerbestellung ist nach st. Rspr. des BVerfG eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken (vgl. zuletzt u.a. BVerfG NJW 2004, 1305). Die Wirkung der Beiordnung besteht nach h.M. in der Begründung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht des Verteidigers, bei der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens, insbesondere in der HV, durch (sachgerechte) Verteidigung des Angeklagten mitzuwirken (OLG Frankfurt am Main NJW 1972, 1964; BVerfG NStZ-RR 1997, 202; NStZ 1998, 46; OLG Hamburg NJW 1998, 621; Meyer-Goßner/Schmitt, § 142 Rn 59 m.w.N.; str., a.A. LR-Jahn, vor § 137 Rn 67 ff. unter Hinw. darauf, dass es für die öffentlich-rechtliche Komponente in den §§ 137 ff. keinen Anknüpfungspunkt gebe; a.A. auch Jahn JR 1999, 3 f., der die Pflichtverteidigerstellung als über das Recht der zivilrechtlichen Stellvertretung begründet ansieht; s.a. → Pflichtverteidiger, Stellung, Teil P Rdn 3616).

 

☆ Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Pflichtverteidiger andere Aufgaben als der Wahlverteidiger hätte. Er ist nicht etwa nur Mitgarant staatlicher Prozessziele, sondern nimmt eine öffentliche Funktion wahr, ohne dass seine Stellung dadurch eine staatliche würde. Der Pflichtverteidiger hat ebenso wie der Wahlverteidiger eine ungeschmälerte Beistandspflicht und darf und muss wie der Wahlverteidiger den Mandanten im Rahmen der Gesetze ggf. kompromisslos und ggf. einseitig verteidigen ( Müller StV 1981, 575; OLG Hamburg NJW 1998, 621; zum Zustand der Pflichtverteidigung ­ Schoeller , a.a.O.; ders. , StV 2017, 194). Er ist kein Verteidiger zweiter Klasse .ungeschmälerte Beistandspflicht und darf und muss wie der Wahlverteidiger den Mandanten im Rahmen der Gesetze ggf. kompromisslos und ggf. einseitig verteidigen (Müller StV 1981, 575; OLG Hamburg NJW 1998, 621; zum Zustand der Pflichtverteidigung ­Schoeller, a.a.O.; ders., StV 2017, 194). Er ist kein Verteidiger zweiter Klasse.

 

Rdn 3665

2. Die Bestellung als Pflichtverteidiger ist auf die Person beschränkt. Eine Unterbevollmächtigung ist nicht zulässig (→ Pflichtverteidiger, Umfang der Beiordnung, Teil P Rdn 3634 f.). Wird der bisherige Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt, erlischt damit dessen Vollmacht (→ Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3304; → Verteidiger, Vollmacht des Verteidigers, Teil P Rdn 5050).

 

Rdn 3666

3.a) Grds. ist ein Rechtsanwalt gem. § 49 Abs. 1 BRAO zur Übernahme von Pflichtverteidigungen verpflichtet; in der Praxis wird er allerdings wohl kaum gegen seinen erklärten Willen bestellt werden. Liegen wichtige Gründe vor, kann der Rechtsanwalt gem. § 48 Abs. 2 BRAO beantragen, von der beabsichtigten Beiordnung abzusehen oder eine Bestellung aufzuheben (LR-Jahn, § 142 Rn 30 ff. m.w.N.). Wichtige Gründe i.S.v. §§ 49 Abs. 2, 48 Abs. 2 BRAO werden i.d.R. die sein, die gem. § 142 Abs. 5 S. 3 einer Beiordnung entgegenstehen oder zur Entpflichtung des Verteidigers nach § 143a führen können (→ Pflichtverteidiger, Entpflichtung, Teil P Rdn 3507).

 

Rdn 3667

b) Einen Sonderfall, in dem der Verteidiger seine Entpflichtung beantragen kann, regelt der durch das am 13.12.2019 in Kraft getretene "Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung" v. 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) neu geschaffene § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 2: Hiernach kann der Verteidiger, der für eine Vorführung vor den nächsten Richter gem. § 115a bestellt wurde, insbesondere wegen unzumutbarer Entfernung zum künftigen Aufenthaltsort des Beschuldigten seine Entpflichtung verlangen; der entsprechende Antrag muss aber unverzüglich gestellt werden (→ Pflichtverteidiger, Entpflichtung/Verteidigerwechsel, Teil P Rdn 3521).

 

Rdn 3668

4. Nach § 57 der früheren RiLi war der Verteidiger verpflichtet, der Pflichtverteidigung die gleiche Sorgfalt zu widmen, die er bei der Erledigung sonstiger Aufträge anzuwenden hat. Daran hat sich nach Inkrafttreten der BORA nichts geändert.

Siehe auch: → Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3304, m.w.N.

[Autor] Burhoff/Hillenbrand

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