Leitsatz
Pflichtteilsergänzungsansprüche bei Todesfallleistungen aus einem Lebensversicherungsvertrag, die der Erblasser über ein widerrufliches Bezugsrecht schenkweise einem Dritten zugewendet hat, richten sich allein nach dem Wert, den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten - juristischen - Sekunde seines Lebens nach den objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können. In der Regel ist dabei auf den Rückkaufswert abzustellen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Höhe eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Der Erblasser hatte den Beklagten, seinen Bruder, als Alleinerben und widerruflich als Bezugsberechtigten einer auf sein eigenes Leben abgeschlossenen Lebensversicherung eingesetzt. Der Kläger, der einzige Sohn des Erblassers, ist der Ansicht, sein in Bezug auf die Bezugsberechtigung im Grunde unstreitiger Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB sei auf der Grundlage der ausgezahlten Todesfallleistung zu errechnen. Er erhob Klage auf Zahlung der Differenz zwischen dieser Summe und des auf Grundlage der gezahlten Prämien vom Beklagten gezahlten Betrages. Gegen das stattgebende Urteil des Berufungsgerichts wendet sich der Beklagte erfolgreich mit der Revision.
Entscheidung
Die Frage, was bei der Berechnung des Ergänzungspflichtteils nach § 2325 Abs. 1 BGB maßgeblicher Schenkungsgegenstand ist, wenn der Erblasser über Lebensversicherungsleistungen durch ein widerrufliches Bezugsrecht verfügt, ist seit langem umstritten.
Bis zu einer Änderung der Rspr. durch die Entscheidung des IX. Zivilsenats (BGHZ 156, 350) zum Insolvenzrecht folgte die überwiegende Mehrheit der Meinung des RG (RGZ 128, 187), dass auf die Summe der gezahlten Prämien abzustellen sei. Die herrschende Lehre hält zu großen Teilen noch immer an dieser Ansicht fest. Die Gegenstimmen sehen sich durch die neue Rspr. darin bestärkt, dass auf die Versicherungsleistung abzustellen ist. Keine größere Beachtung hat die Ansicht des OLG Colmar (LZ 1913, 876) gefunden, dass der Rückkaufswert maßgeblich sei.
Der Senat schließt sich keiner dieser Auffassungen voll an. Pflichtteilsergänzungsansprüche bei Todesfallleistungen aus einem Lebensversicherungsvertrag, die der Erblasser über ein widerrufliches Bezugsrecht schenkweise einem Dritten zugewendet hat, richten sich allein nach dem Wert, den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten - juristischen - Sekunde seines Lebens nach den objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können. Denn nur in der Aufgabe dieses Wertes beruht die Bereicherung des Bezugsberechtigten. In aller Regel handelt es sich hierbei um den Rückkaufswert; im Einzelfall kann aber auch ein objektiv belegter höherer Veräußerungswert heranzuziehen sein. Nach oben ist der Wert durch die Versicherungsleistung selbst begrenzt.
Eine wirksame Schenkung als Voraussetzung für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist hier unstreitig. Sie erfolgte als mittelbare Zuwendung und hat den Anspruch auf Versicherungsleistung zum Gegenstand. Dieser Anspruch entsteht nämlich originär mit Eintritt des Todes des Erblassers unmittelbar im Vermögen des Bezugsberechtigten und kann damit auch nicht dem Nachlass zugeordnet werden. Eine unmittelbare Zuwendung scheidet mithin aus.
Ent- und Bereicherung werden jedoch durch die Einschaltung des Versicherers und die vertraglichen Absprachen im Deckungsverhältnis vermittelt. Hier erkauft der Erblasser die Leistung des Versicherers an den Bezugsberechtigten, was als sog. mittelbare Schenkung den Tatbestand des § 516 Abs. 1 BGB erfüllt.
Gegenstand der Schenkung im Valutaverhältnis ist der gesamte Anspruch auf die Versicherungsleistung, den der Erblasser dem Bezugsberechtigten zuwenden wollte. Jede andere Ansicht würde zu einem Widerspruch zum Bereicherungsrecht führen; z.B. wenn der Schenkungsvertrag nur Rechtsgrundlage zum Behalten der Prämienzahlungen, nicht aber der überschießenden Versicherungsleistung bilden würde. Dies bedeutet aber nicht, dass dieser Schenkungsgegenstand auch bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu Grunde zu legen ist. Vielmehr zwingt die mittelbare Zuwendung, bei der Be- und Entreicherungsgegenstand nicht identisch sind, im Valutaverhältnis zu einer eigenständigen Entscheidung, auf welchen Gegenstand es ankommen soll. Diese Unterscheidung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge des § 2325 Abs. 1 BGBG nimmt die Rspr. bereits seit Zeiten des RG vor.
Im Rahmen der Rechtsfolge des § 2325 Abs. 1 BGB ist auf den Entreicherungsgegenstand abzustellen, da es Schutzzweck der §§ 2325 ff. BGB ist, die Aushöhlung des Pflichtteilsanspruchs zu Lebzeiten des Erblassers zu verhindern, nicht aber dem Berechtigten die Teilhabe an Zugewinnmöglichkeiten im Zeitpunkt des Todes zu gewährleisten, die der Erblasser durch eine unentgeltliche Zuwendung seinen Erben genommen hat. Es kommt also drauf an, was zu Lebzeiten des Erblassers in dessen Vermögen vorhanden war, da der Pflichtteilsberechtigte nur hieran ein Teilhaber...