Nadine Rumland-Gelzhäuser
7.1 Grundsätzliches
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch soll verhindern, dass der Erblasser die Pflichtteilsansprüche durch lebzeitige Zuwendungen umgeht. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB besteht als selbständiger Anspruch unabhängig davon, ob der Pflichtteilsberechtigte einen ordentlichen Pflichtteilsanspruch hat. Für die Pflichtteilsergänzungsberechtigung ist also nicht zwingend erforderlich, dass der Pflichtteilsberechtigte konkret pflichtteilsberechtigt, d. h. enterbt ist. Ausreichend ist, wenn er zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört. Der Pflichtteilsberechtigte hat damit bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch dann einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung, wenn er nicht von der Erbfolge ausgeschlossen ist.
Die früher vom BGH vertretene Auffassung von der sog. Theorie der Doppelberechtigung wurde mit der Entscheidung vom 23.05.2012 zumindest in Bezug auf Abkömmlinge aufgegeben. Danach ist nicht mehr erforderlich, dass der Gläubiger zum Zeitpunkt der Schenkung bereits pflichtteilsberechtigt war. Daraus folgt, dass auch ein nach der Schenkung geborenes oder adoptiertes Kind einen Pflichtteilsergänzungsanspruch hat. In Bezug auf einen hinzugekommenen Ehegatten hat sich der BGH allerdings noch nicht ausdrücklich geäußert. Nach der überwiegend in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung wird teilweise vertreten, dass jedoch auch ein neu hinzugekommener Ehegatte ergänzungsberechtigt sein soll.
Hinsichtlich Auskunft und Wertermittlung gelten dieselben Grundsätze wie beim ordentlichen Pflichtteilsanspruch.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch kann vom Pflichtteilsberechtigten gegen den bzw. die Erben geltend gemacht werden, wenn der Erblasser einem Dritten innerhalb der letzten 10 Jahre vor dem Erbfall (§ 2325 Abs. 3 BGB) eine Schenkung gemacht hat. Allerdings ist zu beachten, dass diese Zehnjahresfrist bei Schenkungen unter Ehegatten gem. § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB nicht vor der Auflösung der Ehe zu laufen beginnt. Dies bedeutet, dass Schenkungen unter Ehegatten bei Fortbestand der Ehe bis zum Erbfall stets ergänzungspflichtig sind.
Gemäß § 2329 BGB steht dem Pflichtteilsberechtigten unter bestimmten Voraussetzungen ein unmittelbarer Anspruch gegen den Beschenkten auf Herausgabe des Geschenks zu. Der Beschenkte haftet jedoch nur, soweit der Erbe nicht zur Ergänzung des Pflichtteils verpflichtet ist, d. h. im Verhältnis zum Erben subsidiar
. § 2325 Abs. 3 BGB gilt auch zugunsten des Beschenkten.
7.2 Ergänzungspflichtige Schenkung
Ob eine Schenkung vorliegt, beurteilt sich nach § 516 Abs. 1 BGB, wonach eine objektive Bereicherung auf Seiten des Dritten gegeben sein muss. Des Weiteren müssen sich der Erblasser und der Zuwendungsempfänger über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig sein.
Auch wenn eine Vermögensausstattung im Rahmen einer Stiftungsgründung keine Schenkung nach § 516 Abs. 1 BGB darstellt, wird in solchen Fällen – zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten – § 2325 BGB analog angewandt. Gleiches gilt für unentgeltliche Zuwendungen an bereits bestehende Stiftungen.
Nach § 2330 BGB ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch hinsichtlich sog. Anstandsschenkungen ausgeschlossen. Hierunter sind kleinere Zuwendungen, wie übliche Gelegenheitsgeschenke zu bestimmten Anlässen, beispielsweise zum Geburtstag, zu verstehen. Auch größere Geschenke können § 2330 BGB unterfallen. Sie sind nicht ergänzungspflichtig, wenn sie aufgrund einer sittlichen Pflicht des Erblassers erfolgt sind. Insbesondere Unterhaltszahlungen an nahe Verwandte und ähnliche Leistungen fallen hierunter.
7.3 Bewertung
Der Pflichtteilsergänzung unterliegt der Wert der unentgeltlichen Zuwendung. Bei gemischten Schenkungen, d. h. wenn der Wert der Leistung dem Wert der Gegenleistung nur zum Teil entspricht, kommt es ausschließlich auf den unentgeltlichen Teil der Zuwendung an. Damit einhergehende Beweisprobleme werden in der Praxis dadurch gelöst, dass nach der Rechtsprechung des BGH bei einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass die Parteien sich über eine teilweise Unentgeltlichkeit geeinigt haben.
Problematisch ist häufig die Bewertung der Gegenleistung, wenn sich der Schenker beispielsweise einen Nießbrauch oder ein Wohnrecht vorbehalten hat, wobei unerheblich ist, ob das Nutzungsrecht als Gegenleistung oder als Auflage formuliert wurde. In der Regel mindert eine Gegenleistung den Wert des fiktiven Nachlasses und damit auch den Ergänzungsanspruch. Bei einem Nießbrauchvorbehalt zugunsten des Schenkers errechnet sich der Wert des Nießbrauchs an einem Grundstück grund...