Nadine Rumland-Gelzhäuser
7.5.1 Grundsätzliches
Gemäß § 2325 Abs. 1 BGB ist der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzuzurechnen. Dem Nachlass sind also sämtliche ergänzungspflichtigen Geschenke hinzuzuaddieren. Dies ergibt dann den sog. fiktiven Nachlass. Maßgeblich ist dabei nicht die Bereicherung des Zuwendungsempfängers, sondern der Wert des verschenkten Gegenstandes. Anschließend ist aus dem fiktiven Nachlass mittels der Pflichtteilsquote der Pflichtteil zu berechnen. Der Ergänzungspflichtteil ergibt sich dann aus dem gesamten, wie soeben geschildert berechneten Pflichtteil abzüglich des ordentlichen Pflichtteils.
Pflichtteilsergänzung
E, der mit F im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet war, verstarb im Sommer 2018 und hinterließ seine Ehefrau F und seine beiden Kinder S und T. F wurde zur Alleinerbin eingesetzt. Kurz vor seinem Tod hat E seiner Geliebten 80.000 EUR geschenkt. Der Nachlass hat einen Wert von 800.000 EUR . S und T machen nun ihre Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend.
S und T haben jeweils einen Pflichtteilsanspruch von 1/8, d. h. 100,000 EUR. Hinzu kommen Pflichtteilsergänzungsansprüche in Höhe von 1/8 aus EUR 80.000,00, d. h. von 10.000 EUR jeweils. F ist als Erbin primär auch zur Pflichtteilsergänzung verpflichtet, allerdings nur, soweit ihr der eigene Pflichtteil nebst Pflichtteilsergänzung verbleibt.
7.5.2 Pro-rata-Regelung
Durch die Erbrechtsreform zum 1.1.2010 wurde das sog. Alles-oder-Nichts-Prinzip aufgegeben. Vielmehr gilt für Erbfälle seit dem 1.1.2010 die sog. Abschmelzungslösung, wonach sich der für die Pflichtteilsergänzung maßgebliche Wert der Zuwendung für jedes volle Jahr, das zwischen Erbfall und Schenkung liegt, um 1/10 verringert.
Pro-Rata-Regelung
Erfolgte die Schenkung in Höhe von 80.000 EUR an die Geliebte beispielsweise Anfang 2016, wird deren Wert nur noch mit 8/10 (d. h. 64.000 EUR) dem Nachlass hinzugerechnet, so dass die jeweiligen Pflichtteilsergänzungsansprüche von S und T nur noch jeweils 8.000 EUR betragen.
7.5.3 Anrechnungen
Der pflichtteilsberechtigte Erbe kann den Pflichtteilsergänzungsanspruch auch dann fordern, wenn er nicht ausschlägt, was sich aus § 2326 BGB ergibt. Er hat sich jedoch dasjenige anzurechnen, was den ordentlichen Pflichtteil übersteigt (§ 2326 S. 2 BGB).
Anrechnung
S wurde zu 1/6 als Erbe eingesetzt. Sein Pflichtteil beträgt 1/8. Er muss sich bei der Pflichtteilsergänzung den Mehrbetrag von 1/24 anrechnen lassen.
§ 2327 BGB ordnet an, dass sich der Pflichtteilsberechtigte Geschenke, die er selbst vom Erblasser erhalten hat, auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen lassen muss.
Anrechnung von Geschenken
E setzt seine Geliebte zur Alleinerbin ein und enterbt damit seine Ehefrau F. Weitere Verwandte hat E nicht. Der Nachlass beträgt 800.000 EUR und die zu Lebzeiten an F und an die Geliebte getätigten Geschenke jeweils 100.000 EUR
Der fiktive Nachlass beträgt 1 Mio EUR,
der gesamte Pflichtteil der F (einschließlich Ergänzungspflichtteil) 500.000 EUR,
der ordentliche Pflichtteil 400.000 EUR und
der Ergänzungspflichtteil 100.000,00 EUR, wobei sie sich ihr eigenes Geschenk in Höhe von 100.000 EUR auf den Ergänzungsanspruch anrechnen lassen muss, so dass dieser 0 EUR beträgt.
Ungeklärt und nicht unumstritten ist, ob im Rahmen des § 2327 BGB die Zehnjahresfrist bzw. die Abschmelzung des § 2325 Abs. 3 BGB auch eine Rolle spielen. Zur vor dem 1.1.2010 geltenden Fassung hatte der BGH entschieden, dass die Zehnjahresfrist bei § 2327 BGB keine Anwendung findet. Allerdings gehen Stimmen in der Literatur dahin, dass nach der Neuregelung des § 2325 Abs. 3 BGB die einstige BGH-Rechtsprechung, wonach die Zehnjahresfrist im Rahmen des § 2327 BGB nicht gilt, nicht mehr vertreten werde, vielmehr müsse die jetzige pro-rata-Regelung auch im Rahmen des § 2327 BGB Anwendung finden. Derzeit ist offen, wie der BGH diese Frage entscheiden wird.