1. Zerrüttungsprinzip
Rz. 69
Einziger Scheidungsgrund ist die vollständige und dauernde Zerrüttung der Ehe (Art. 56 § 1 FVGB). Die Ehe ist zerrüttet, wenn die für die eheliche Gemeinschaft notwendigen Gefühle nicht mehr bestehen. Davon ist auszugehen, wenn die besonderen physischen, geistigen und wirtschaftlichen Bindungen der ehelichen Gemeinschaft nicht mehr bestehen. An einem solchen Band zwischen den Ehegatten kann es auch dann fehlen, wenn die Ehegatten innerhalb der gemeinsamen Wohnung getrennt leben. Die Zerrüttung muss endgültig sein. Daran fehlt es, wenn noch einzelne Bindungen fortbestehen, sofern es sich nicht um rein wirtschaftliche Bindungen handelt. Dauerhaft ist die Zerrüttung, wenn mit einer Rückkehr zur ehelichen Gemeinschaft mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu rechnen ist. Die Dauer einer Trennung ist ein wichtiges Indiz. Bei kurzer Trennungszeit kann eine dauerhafte Zerrüttung gegeben sein, wenn die Trennung durch eine schwere Verfehlung der ehelichen Pflichten hervorgerufen wurde.
2. Negative Scheidungsvoraussetzungen
Rz. 70
Das Gesetz regelt in Art. 56 § 2 und § 3 FVGB drei negative Scheidungsvoraussetzungen, die von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Sie schließen die Scheidung nicht dauerhaft, sondern nur vorübergehend aus.
a) Wohl der gemeinschaftlichen Kinder
Rz. 71
Zum einen ist die Scheidung unzulässig, wenn durch sie das Wohl der gemeinschaftlichen minderjährigen Kinder gefährdet wird (Art. 56 § 2 Alt. 1 FVGB). Dies gilt sogar dann, wenn beide Ehegatten die Scheidung begehren. Dabei geht es nicht um die vermögensrechtlichen Folgen der Scheidung. Verglichen wird das weitere Funktionieren des Kindes in der zerrütteten Familie mit der hypothetischen Lage nach der Scheidung unter Berücksichtigung der gerichtlichen Scheidungsfolgenregelungen.
b) Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens
Rz. 72
Eine Scheidung darf nicht den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zuwiderlaufen (Art. 56 § 2 Alt. 2 FVGB). Dadurch soll der rechtsmissbräuchlichen Scheidung vorgebeugt werden. Hauptanwendungsfall ist eine Scheidung, die für den anderen Ehegatten zu einer von ihm nicht verschuldeten schwerwiegenden Unbill führen würde, insbesondere bei schwerer Krankheit eines Ehegatten. Dabei sind potenziell auch vermögensrechtliche Aspekte zu berücksichtigen (z.B. der Verlust des Nutzungsrechts einer Wohnung, welche zum persönlichen Vermögen des anderen Ehegatten gehört).
c) Alleinschuld des Antragstellers an der Zerrüttung der Ehe
Rz. 73
Die Scheidung ist grds. unzulässig, wenn sie von demjenigen Ehegatten beantragt wird, der an der Zerrüttung allein schuldig ist (Art. 56 § 2 FVGB). Der Begriff der Schuld entspricht dem zivilrechtlichen Verschulden, so dass Vorsatz oder Fahrlässigkeit erforderlich ist. Ein Verschulden liegt u.a. vor bei Ehebruch, Verschweigen von Tatsachen, die in die Ehe hineinwirken (z.B. Existenz eines nichtehelichen Kindes, nicht aber eine vor langer Zeit verbüßte Freiheitsstrafe), Misshandlungen oder groben Beleidigungen des anderen Ehegatten. Eine Verzeihung lässt das Verschulden nicht entfallen, kann aber ein Indiz gegen die Zerrüttung der Ehe sein. Trotz bestehender Alleinschuld kann die Ehe geschieden werden, wenn der andere Ehegatte in die Scheidung einwilligt (einverständliche Scheidung) oder die Verweigerung der Einwilligung im konkreten Fall den Grundsätzen des gesellschaftlichen Lebens zuwiderlaufen würde (Art. 56 § 3 FVGB). Die Verweigerung der Einwilligung ist unbeachtlich, wenn sie aus verwerflicher Gesinnung entspringt (z.B. Schikane, Rache, Hass) oder wenn sie aus objektiven Gründen zu missbilligen ist. Dies spielt eine Rolle bei kinderlosen Ehen oder solchen, in denen nur erwachsene, der elterlichen Unterstützung nicht bedürfende Kinder vorhanden sind.