Rz. 61
Die Regelungen über die Scheidung ohne Zustimmung des anderen Ehegatten spiegeln nunmehr das Zerrüttungsprinzip (Art. 1781 CC) wider. Das bis zum 30.11.2008 gültige Verschuldensprinzip wurde abgeschafft; das alte Recht war nach der Übergangsregelung in Art. 9 Gesetz Nr. 61/2008 auf vor diesem Termin bereits anhängige Scheidungsverfahren noch anwendbar. Das Verfahren wird vor dem Familien- und Jugendgericht (Tribunal de Familia e de Menores) am Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Klägers geführt. Dabei muss nach Art. 1779 Abs. 1 CC stets ein Versöhnungsversuch der Ehegatten durchgeführt werden. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes hat sich der Gesetzgeber also dafür entschieden, zugunsten des Zerrüttungsprinzips vom Verschuldensprinzip Abstand zu nehmen – kein umfänglicher Abschied, denn bei Festsetzung des Unterhalts im Fall des Getrenntlebens hat das Verschulden noch Relevanz, ebenso wie es ein Indiz für die Zerrüttung der Ehe sein kann.
Rz. 62
Im Fall einer schweren Verletzung der ehelichen Pflichten kann der geschädigte Ehegatte Antrag auf Scheidung stellen (Art. 1785 i.V.m. Art. 1779 CC). Dabei ist nachzuweisen, dass der andere seine ehelichen Pflichten schwerwiegend oder wiederholt schuldhaft verletzt hat. Die Pflichtverletzung muss so gravierend sein, dass eine Fortsetzung des gemeinsamen Lebens nicht mehr möglich ist. Das Gericht beurteilt die Schwere auch am Maß des Verschuldens des Antragstellers sowie an den persönlichen Verhältnissen der Ehegatten. Das Gesetz spricht in Art. 1779 Abs. 2 CC vom "Erziehungs- und moralischen Empfindsamkeitsgrad der Ehegatten" (o grau de educação e sensibilidade moral dos cônjuges). In den Fällen des Art. 1780 CC kann die Scheidung wegen Pflichtverletzung jedoch nicht verlangt werden, wenn der geschädigte Ehegatte die Pflichtverletzung des anderen bewusst herbeigeführt, d.h. ihn dazu bestimmt oder provoziert hat, oder wenn er ihm ausdrücklich oder stillschweigend verziehen, nämlich durch sein späteres Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass er die begangene Pflichtverletzung als für das gemeinsame Leben nicht hindernd ansieht. Der Scheidungsantrag muss innerhalb von zwei Jahren ab Kenntnis des Antragsgrundes erfolgen, anderenfalls verfällt das Antragsrecht. Bei wiederholter Pflichtverletzung läuft die Antragsfrist erst ab Ende der schädigenden Handlung (Art. 1786 CC). Bei begründetem Antrag ist im Scheidungsurteil stets auch von Amts wegen auszusprechen, ob ein Verschulden eines oder beider Ehegatten vorliegt; falls das Verschulden des einen beträchtlich höher wiegt, hat das Urteil auch den Hauptschuldigen zu benennen (Art. 1787 CC).
Rz. 63
Das Zerrüttungsprinzip sieht das portugiesische Recht in Art. 1781 CC für die Aufhebung des Zusammenlebens während einer bestimmten Trennungszeit vor. Das Scheitern der Ehe wird vermutet, wenn die tatsächliche Trennung seit mindestens einem Jahr besteht. Unter tatsächlicher Trennung wird nach der Begriffsumschreibung in Art. 1782 CC verstanden, dass zwischen den Ehegatten keine Lebensgemeinschaft vorhanden ist und aufseiten beider oder eines von ihnen die Absicht besteht, sie nicht wiederherzustellen. Weitere Gründe für die Scheidung ohne Zustimmung des anderen Ehegatten sind gem. Art. 1781 CC: Änderung der mentalen Fähigkeit eines Ehegatten, wenn sie länger als ein Jahr anhält und durch ihre Schwere einem gemeinsamen Leben entgegensteht; zudem Abwesenheit von mindestens einem Jahr ohne eine Nachricht des Abwesenden sowie schließlich jeder andere Grund, unabhängig von der Schuld der Ehegatten, der die endgültige Zerrüttung der Ehe zeigt. Ferner wenn die Eheleute die eheliche Lebensgemeinschaft willentlich aufgegeben haben und der andere Ehegatte dem Scheidungsantrag nicht widerspricht (Art. 1781 lit. a bzw. lit. b CC). Auch im Fall der mit der Aufhebung des ehelichen Zusammenlebens begründeten Scheidung hat das Gericht das gegebenenfalls bestehende alleinige, gemeinsame oder überwiegende Verschulden der Ehegatten auszusprechen.