Leitsatz
- Auch in Ansehung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG kann eine infolge der Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Preisänderungsklausel nach § 307 BGB entstehende planwidrige Regelungslücke in einem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) dahingehend geschlossen werden, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den veränderten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von 3 Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (Fortführung der Senatsurteile v. 14.3.2012, VIII ZR 113/11, NJW 2012 S. 1865, Rn. 19 ff.; zur Veröffentlichung in BGHZ 192 S. 372 bestimmt, und VIII ZR 93/11, ZNER 2012 S. 265, Rn. 24 ff.).
- Ist die in einem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden formularmäßig vereinbarte Preisänderungsklausel nach § 307 BGB unwirksam, verbleiben das Kalkulations- und damit auch das Kostensteigerungsrisiko grundsätzlich bei dem Energieversorgungsunternehmen (Fortführung des Senatsurteils v. 25.10.1989, VIII ZR 105/88, BGHZ 109 S. 139, 145). Dessen Verpflichtung zur Herausgabe der von dem Kunden rechtsgrundlos gezahlten Erhöhungsbeträge ist daher nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
- Die Verjährung von Rückzahlungsansprüchen wegen Gaspreisüberzahlungen beginnt nicht bereits mit den jeweils geleisteten Abschlagszahlungen, sondern erst mit der anschließenden Erteilung der Jahresabrechnung zu laufen (Bestätigung des Senatsurteils v. 23.5.2012, VIII ZR 210/11, NJW 2012 S. 2647 Rn. 9 ff.).
(amtliche Leitsätze des BGH)
Normenkette
BGB §§ 556, 812
Kommentar
Die Entscheidung betrifft einen im Jahr 1990 abgeschlossenen sog. Norm-Sonderkundenvertrag über die Lieferung von Erdgas zwischen einem Gasversorgungsunternehmen und einem Gebäudeeigentümer. Das Versorgungsunternehmen hatte den Lieferpreis mehrmals aufgrund einer Preisanpassungsklausel erhöht. Der Gebäudeeigentümer hat die jeweiligen Erhöhungsbeträge bezahlt. Im Jahr 2008 hat der BGH entschieden, dass die fragliche Preisanpassungsklausel unwirksam ist. Daraufhin hat der Gebäudeeigentümer das Versorgungsunternehmen auf Rückzahlung der Erhöhungsbeträge in Anspruch genommen. Der BGH hatte über die Berechnung des Rückforderungsanspruchs zu entscheiden.
1. Begriff des "Sonderkunden"
Bei den Gasversorgungsverträgen unterscheidet man zwischen den Tarifkunden und den Sonderkunden. Die Unterscheidung beruht auf dem Umstand, dass die Gasversorger aufgrund gesetzlicher Regelung verpflichtet sind, grundsätzlich alle Abnehmer im Rahmen der Grundversorgung mit Gas zu versorgen. Dies gilt unabhängig von der Bonität der Kunden. Deshalb ist der allgemeine Tarif relativ hoch, weil in ihm kalkulatorisch auch das Risiko von Zahlungsausfällen bei finanzschwachen Kunden berücksichtigt ist.
Daneben können die Gasversorger auch Verträge mit einem Entgelt außerhalb des Tarifs abschließen (sog. Erdgassonderverträge). Das vom "Sonderkunden" zu zahlende Entgelt ist meist niedriger als der allgemeine Tarif (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 24.6.2009, VI-2 U (Kart) 14/08, IR 2009 S. 186).
2. Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel
Die vor dem Jahr 2009 abgeschlossenen Sonderkundenverträge enthielten in der Regel folgende Preisanpassungsklausel: "Der vorstehende Gaspreis ändert sich, wenn eine Änderung der allgemeinen Tarifpreise eintritt."
Nach dem Urteil des BGH vom 17.12.2008 (VIII ZR 274/06, NJW 2009 S. 578) unterliegt die Klausel der AGB-Kontrolle. Die Vorschrift des § 310 Abs. 2 BGB, wonach die §§ 308 und 309 BGB in bestimmten Fällen keine Anwendung finden auf Verträge der Elektrizitäts-, Gas-, Fernwärme- und Wasserversorgungsunternehmen über die Versorgung von Sonderabnehmern, ist nicht einschlägig, weil es sich bei der Klausel um eine Preisnebenabrede handelt. Diese unterliegt der Inhaltskontrolle. Die Klausel ist nicht hinreichend transparent, weil unklar ist, in welchem Umfang sich das Entgelt ändert. Deshalb liegt ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vor; die Klausel ist unwirksam.
3. Rechtsfolgen der Unwirksamkeit
Über die Rechtsfolgen der Unwirksamkeit einer Preisanpassungsklausel hat der BGH in dem Urteil vom 14.3.2012 (VIII ZR 113/11, NJW 2012 S. 1865) entschieden. Danach gilt Folgendes:
- Ist eine Preisanpassungsklausel unwirksam, hat der Mieter gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der Erhöhungsbeträge.
- Der Umstand, dass das Versorgungsunternehmen die Erhöhung angekündigt hat, dass der Mieter weiterhin Gas bezogen und die Erhöhung bezahlt hat, ändert hieran nichts. Eine konkludent vereinbarte Preiserhöhung ist nicht anzunehmen; insoweit fehlt es bereits an einem Angebot des Unternehmens.
- Jedoch ergibt sich nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung, dass der Kunde die Unwirksamkeit der Preiserhöhung innerhalb eines Zeitraums von 3 Jahren nach ...