Leitsatz
Zentrales Problem dieser Entscheidung war die Zurechnung "fiktiver Einkünfte" aufseiten der unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehefrau. Das OLG Hamm hat sich insbesondere mit der Angemessenheit einer Erwerbstätigkeit und die objektive Erzielbarkeit der erforderlichen Einkünfte auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Die Parteien hatten im August 1988 geheiratet und waren seit August 1997 geschieden. Aus ihrer Ehe waren zwei Kinder hervorgegangen. Ein im Juni 1989 geborener Sohn verstarb im Jahre 1990. Ein weiterer im Februar 1993 geborener Sohn lebte im Haushalt der Beklagten.
Der Kläger war seiner geschiedenen Ehefrau aus einem Urteil des AG vom 4.5.2000 zur Zahlung nachehelichen Unterhalts i.H.v. monatlich 1.328,00 DM = 679,00 EUR verpflichtet. Die Unterhaltsverpflichtung stützte sich auf § 1570 BGB a.F., weil der Sohn der Parteien seinerzeit 7 Jahre alt war und die erste Klasse der Grundschule besuchte.
Der Kläger begehrte Abänderung dieser Unterhaltsverpflichtung ab dem 1.7.2008 und vertrat die Auffassung, zu Unterhaltsleistungen an die Beklagte nicht mehr verpflichtet zu sein. Er berief sich darauf, dass der gemeinsame Sohn altersbedingt keiner Betreuung mehr bedürfe und die Beklagte deshalb zur Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit verpflichtet sei, so dass ein Unterhaltsanspruch, der jedenfalls zu befristen bzw. zu beschränken sei, entfalle.
Erstinstanzlich wurde die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Beklagten stehe zwar kein Betreuungsunterhalt mehr zu, auch sei sie zur Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit verpflichtet. Gleichwohl sei der Vortitel nicht abzuändern, da ein Aufstockungsunterhalt verbleibe, der nicht wesentlich von der titulierten Unterhaltsverpflichtung abweiche. Eine Befristung des Anspruchs sei nicht vorzunehmen, da über die berufliche Entwicklung der Beklagten und ihrer Erwerbsmöglichkeiten keine Prognose abgegeben werden könne.
Mit der Berufung verfolgte der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag mit der Maßgabe weiter, dass er eine Abänderung nur noch ab Rechtshängigkeit - dem 15.1.2009 - begehrte. Er machte geltend, dass das FamG sein Einkommen unzutreffend ermittelt habe und ein etwaig verbleibender Aufstockungsunterhalt zu befristen, jedenfalls aber auf einen angemessenen Bedarf herabzusetzen sei, den die Beklagte durch eine vollschichtige Tätigkeit decken könne. Ehebedingte Nachteile seien nicht entstanden.
Das Rechtsmittel des Klägers blieb ohne Erfolg.
Entscheidung
Das OLG bejahte einen Anspruch der Beklagten auf nachehelichen Unterhalt aus § 1573 Abs. 1 BGB. Ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB habe nur solange bestanden, wie die Beklagte den gemeinsamen Sohn betreut habe. Für die Zeit danach ergebe sich der Unterhaltsanspruch aus § 1573 Abs. 1 BGB, weil die Beklagte nach Wegfall der Voraussetzungen für den Betreuungsunterhalt noch keine angemessene Erwerbstätigkeit habe finden können.
Weder ihr Alter noch ihr Gesundheitszustand ständen einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit entgegen. Hierzu habe die Beklagte nicht ausreichend vorgetragen. Im Hinblick auf ihr Alter und ihren Gesundheitszustand könne die Beklagte aus einer (angemessenen) Tätigkeit rund 1.060,00 EUR netto monatlich erzielen. Hierbei legte das OLG die tarifliche Grundvergütung für einfache kaufmännische Tätigkeiten zugrunde.
Das OLG vertrat die Auffassung, es könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte trotz zumutbarer und ausreichender Erwerbsbemühungen keine angemessene Erwerbstätigkeit habe finden können. Der Vortrag der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten hierzu reiche nicht aus.
Die unzureichenden Erwerbsbemühungen führten jedoch nicht zur Versagung des Anspruchs aus § 1573 Abs. 1 BGB, wenn sie für die bestehende Erwerbslosigkeit nicht ursächlich seien. Dies sei hier der Fall, weil für die Beklagte auch bei ausreichenden Erwerbsbemühungen bislang keine reale Beschäftigungschance auf eine vollschichtige Erwerbstätigkeit in ihrem erlernten oder einem ähnlichen Beruf bestanden habe.
Bei Einsetzen ihrer vollschichtigen Erwerbsobliegenheit im Jahre 2008 habe die Beklagte keine reale Chance auf eine vollschichtige, angemessene Erwerbstätigkeit gehabt. Der Arbeitsmarkt im Allgemeinen und insbesondere für Verkäuferinnen im Textil- und Bekleidungsbereich sei nach den von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Berichten und Statistiken dadurch gekennzeichnet, dass seit dem Jahre 2001 die Vollzeitstellen bis in das Jahr 2006 hinein deutlich zurückgegangen seien. Auf diesem Arbeitsmarkt habe die Beklagte als sog. Berufsrückkehrer unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Voraussetzungen keine reale Chance, eine vollschichtige Erwerbstätigkeit als Verkäuferin zu finden.
In der Summe aller Faktoren habe sie im Wettbewerb mit den zahlreichen Konkurrentinnen, die jünger und leistungsfähiger seien sowie über eine größere Arbeitsmarktnähe und bessere Erwerbsbiografien verfügten, tatsächlich wenig Möglichkeiten, einen der wenigen angebotenen vollsch...