1 Leitsatz
Ein Wohnungseigentümer, der in einem Rechtsstreit, der am 1.12.2020 anhängig war, sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend macht, verliert seine Prozessführungsbefugnis, wenn der Verwalter gegenüber dem Gericht schriftlich erklärt, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine Fortsetzung des Rechtsstreits nicht wünscht.
2 Normenkette
§§ 9a, 14, 20 WEG; § 1004 BGB
3 Das Problem
Wohnungseigentümer K, der im Ausland wohnt, geht am 25.11.2020 gegen bauliche Veränderungen vor (hier: mehrere Wohnungseigentümer hatten den Terrassenbelag ausgetauscht). Im April 2021 beschließen die Wohnungseigentümer, sämtliche von K gerügten baulichen Veränderungen zu genehmigen und lehnen gleichzeitig einen Antrag des K, ihn zur Fortsetzung des Rechtsstreits zu ermächtigen, ab (gegen diese Beschlüsse hat K eine Anfechtungsklage erhoben). Mit Schreiben vom 12.5.2021 erklärt der Verwalter gegenüber dem Gericht, die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei nicht bereit, K zur Geltendmachung der Rückbauansprüche zu ermächtigen.
Die Beklagten meinen, die Klage sei bereits deshalb unzulässig, weil K keine ladungsfähige Anschrift mitgeteilt habe. Unter der in der Klageschrift angegebenen Adresse werde ein Ladengeschäft mit "Mailboxes etc." betrieben. An der Fassade befinde sich eine alphabetische Liste mit Namen von Personen und Firmen, für die unter der Anschrift Post zugestellt werden kann. Die Liste schließe mit folgendem Hinweis: "Bitte in den Briefkasten am Ladeneingang oder direkt hier im Geschäft abgeben. Danke!"
4 Die Entscheidung
Die Klage ist nach Ansicht des AG bereits unzulässig! Zum einen erfülle die Klageschrift nicht die Anforderungen des § 253 ZPO, zum anderen sei K nicht (mehr) prozessführungsbefugt.
Die Klageschrift müsse u. a. die Bezeichnung der Parteien enthalten (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Auch wenn die Angabe der Adresse in § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht ausdrücklich erwähnt werde, sei die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift ein zwingendes Erfordernis einer ordnungsmäßigen Klageerhebung, sofern sie ohne Weiteres möglich sei und kein schützenswertes Interesse entgegenstehe. K habe nur eine Adresse angegeben, unter der sich offenkundig eine Vielzahl von Personen ihre Post zusenden und dann nachsenden ließen. Somit benutze K die Fa. "Mailboxes etc." wie ein Postfach. Eine Postfachadresse sei jedoch nicht ausreichend. Da K 2 Wohnsitze im Ausland habe, hätte er problemlos einen der beiden angeben können. Er hätte dann zwar möglicherweise damit rechnen müssen, dass einer der Beklagten gem. § 110 Abs. 1 ZPO eine Sicherheitsleistung für die Prozesskosten verlangt. Die Vermeidung einer solchen Sicherheitsleistung sei jedoch kein schützenswertes Interesse. Somit war die Klägerin verpflichtet, ihre richtige Adresse in der Klageschrift mitzuteilen
Darüber hinaus sei K nicht (mehr) prozessführungsbefugt. Der BGH habe für die bereits vor dem 1.12.2020 bei Gericht anhängigen Verfahren entschieden, dass die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der, sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend mache, in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG über diesen Zeitpunkt hinaus fortbestehe, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht werde (Hinweis auf BGH, Urteil v. 7.5.2021, V ZR 299/19). Ein derartiger Wille liege vor.
5 Hinweis
Problemüberblick
Der Fall spricht 2 spezifische wohnungseigentumsrechtliche und ein zivilprozessuales Problem an. Im Fall wendet sich der Wohnungseigentümer gegen – zunächst – unzulässige bauliche Veränderungen. Dieses wohnungseigentumsrechtliche Problem ist auch im neuen Recht leicht zu lösen, wenn die bauliche Veränderung sein Sondereigentum beeinträchtigt. Denn dann kann ein Wohnungseigentümer nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG oder nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB vom "Bauherrn" Unterlassung verlangen.
Anders ist es, wenn die bauliche Veränderung nur das gemeinschaftliche Eigentum beeinträchtigt. Denn in diesem Fall ist nach §§ 9a Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1, 18 Abs. 1 WEG nur die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer berechtigt, gegen den "Bauherrn" vorzugehen. Nur in den "Übergangsfällen" ist eine Besonderheit zu beachten. Übergangsfälle sind solche Rechtsstreitigkeiten, in denen ein Wohnungseigentümer bereits vor dem 1.12.2020 in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum vorgegangen ist. Dieser Wohnungseigentümer ist nach Ansicht des BGH ungeachtet §§ 9a Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1, 18 Abs. 1 WEG weiterhin prozessführungsbefugt, solange sich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht gegen diesen Prozess entscheidet.
Das weitere wohnungseigentumsrechtliche Problem besteht darin, dass die Wohnungseigentümer über eine bereits durchgeführte bauliche Veränderung nach § 20 Abs. 1 WEG beschließen.
Wegfall der Prozessführungsbefugnis
Wie vom AG entschieden, ist der BGH in den Übergangsfällen der Ansicht, ein Wohnungseigentümer sei befugt, auch für eine Entstörung des gemeinschaftlic...