Sachverhalt
Bei der Klage der EU-Kommission gegen Deutschland ging es um die Frage, ob ein Mitgliedstaat es dem Europäischen Rechnungshof (ERH) verwehren kann, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der nationalen Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der MwSt zu prüfen. Der Rechtssache lag eine Vertragsverletzungsklage der Kommission gemäß Art. 258 AEUV zugrunde. Verfahrensrechtlich zeichnete sich die Klage durch die Besonderheit aus, dass die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat (hier Deutschland) eingeleitet hatte, weil dieser die Prüfungsbefugnisse des ERH missachtet habe. Obwohl der ERH in der Vergangenheit ausdrücklich dafür plädiert hatte, ihm eine Klagemöglichkeit zur selbständigen gerichtlichen Durchsetzung seiner Befugnisse im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten einzuräumen, steht ihm auch nach der letzten Überarbeitung des unionsrechtlichen Rechtsschutzsystems durch den Vertrag von Lissabon keine direkte Klagemöglichkeit gegen Mitgliedstaaten zu, die seine Prüfungsbefugnisse missachtet haben sollen. Vielmehr hat der ERH einen solchen Verstoß an die Kommission zu melden, damit diese, wie im vorliegenden Fall, gegen den betreffenden Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einleitet.
Mit ihrer Klage beantragte die Kommission festzustellen, dass Deutschland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 248 Abs. 1 bis 3 EG, 140 Abs. 2 und 142 Abs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften sowie aus Art. 10 EG verstoßen habe, dass Deutschland es abgelehnt hat, dem ERH zu gestatten, in Deutschland Prüfungen hinsichtlich der in der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 geregelten Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der MwSt durchzuführen.
Nach Art. 10 EG treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus dem EG-Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgabe. Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrags gefährden könnten. Nach Art. 248 EG prüft der ERH die Rechnung über alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft.
Der ERH hatte in 2006 dem BRH seine Absicht mitgeteilt, in Deutschland gemäß Art. 248 EG eine Prüfung hinsichtlich der in der Verordnung Nr. 1798/2003 geregelten Zusammenarbeit durchzuführen. Dabei sollte einerseits überprüft werden, ob Deutschland die notwendigen administrativen und organisatorischen Strukturen für die Zusammenarbeit geschaffen habe, und andererseits, wie sich diese Zusammenarbeit im Falle von Auskunftsersuchen nach Art. 5 der Verordnung Nr. 1798/2003 in der Praxis gestaltet, und zwar durch Stichproben der von den deutschen Behörden versandten oder erhaltenen Auskunftsersuchen.
Der Bundesrechnungshof (BRH) bestätigte seine Teilnahme an der Prüfungsabsicht des ERH und teilte dem BMF mit, dass solche Prüfungen bereits in sieben anderen Mitgliedstaaten stattgefunden hätten. Er wies darauf hin, dass es nicht darum gehe, die eigentlichen materiellen Geschäfte der Finanzbehörden (einschließlich der ordnungsgemäßen Festsetzung der MwSt) zu überprüfen, sondern darum, sich von der effizienten und einwandfreien Bearbeitung der im Rahmen des MwSt-Informationsaustauschsystems (MIAS) versandten und/oder eingegangenen Auskunftsersuchen zu vergewissern. Das BMF lehnte die Durchführung der Prüfung in Deutschland mit der Begründung ab, dass es für sie keine angemessene Rechtsgrundlage gebe.
Die Kommission hat ihre Klage damit begründet, dass der ERH nach Art. 248 EG als unabhängiger externer Prüfer die Aufgabe habe, zu prüfen, ob die mit der Erhebung und Verwendung von Mitteln der Gemeinschaft zusammenhängenden Finanzoperationen richtig erfasst und ausgewiesen, rechtmäßig und ordnungsgemäß ausgeführt und im Sinne eines sparsamen, wirtschaftlichen und wirksamen Mitteleinsatzes verwaltet worden seien, und Empfehlungen abzugeben, um die Haushaltsführung der Gemeinschaft zu verbessern. Angesichts des grundlegenden Charakters dieser Aufgabe und zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit von Art. 248 EG müssten die Prüfungskompetenzen des ERH weit ausgelegt werden und sich auf alle Bereiche und Akteure erstrecken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Einnahmen oder Ausgaben der Gemeinschaft stünden. Zwischen der Erhebung der MwSt-Einnahmen und den der Gemeinschaft zustehenden MwSt-Eigenmitteln bestehe ein solcher Zusammenhang. Die nach der 6. EG-Richtlinie erzielten MwSt-Einnahmen lieferten die Ausgangsgröße für die Ermittlung der Eigenmittel der Gemeinschaft.
Deutschland war der Auffassung, die durch die Verordnung Nr. 1798/2003 geschaffene Zusammenarbeit im Bereich der Erhebung von MwSt-Einnahmen weise keinen unmittelbaren oder hinreichenden Zusammenhang mit den Einnahmen der Gemeinschaft auf. Die MwSt-Einnahmen gehörten zum nationalen Haushalt und seien vo...