Gesetzestext
Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:
1. |
›Gericht‹ bezeichnet Gerichte und andere Behörden der Mitgliedstaaten, die der Kommission nach Artikel 31 Absatz 3 mitgeteilt wurden, gerichtliche Funktionen ausüben, in Ausübung einer Befugnisübertragung durch eine Justizbehörde oder unter Aufsicht einer Justizbehörde handeln und nach nationalem Recht zur Beweisaufnahme für die Zwecke von Gerichtsverfahren in Zivil- oder Handelssachen befugt sind. |
2. |
›Dezentrales IT-System‹ bezeichnet ein Netzwerk nationaler IT-Systeme und interoperabler Zugangspunkte, die unter der jeweiligen Verantwortung und Verwaltung eines jeden Mitgliedstaats betrieben werden, das den sicheren und zuverlässigen grenzüberschreitenden Informationsaustausch zwischen den nationalen IT-Systemen ermöglicht. |
Rn 1
In der Neufassung der VO wird der Begriff des ›Gerichts‹ erstmals definiert. Der Begriff des Gerichts wurde bislang vom EuGH anhand folgender Kriterien bestimmt: ›Gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit‹ (EuGHE 2006, I-3561, Rz 12). Mit der Begriffsbestimmung soll gem Erw 5 klargestellt werden, dass die EuBVO nicht nur für Gerichte im herkömmlichen Sinn gilt, sondern auch für behördliche Stellen, die für ein Gerichtsverfahren zwar Beweis aufnehmen, aber den Rechtsstreit nicht selbst entscheiden. Die von den Mitgliedsstaaten mitgeteilten ›anderen Behörden‹ gem Art 31 III EuBVO werden im europäischen Justizatlas bekannt gemacht (Art 23 I EuBVO).
Rn 2
Maßgeblich bleibt aber, ob die Tätigkeit zur Vorbereitung einer Gerichtsentscheidung dient. Verwaltungsbehörden sind danach auch weiterhin keine Gerichte iSd vorliegenden Vorschriften. Im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist danach zu differenzieren, ob diese Entscheidungen treffen, wie zB in Betreuungssachen (dann sind sie Gerichte) oder ob sie Verwaltungstätigkeiten wahrnehmen und zB Register führen (dann sind sie keine Gerichte, anders aber im Rechtsmittelverfahren, s Gebauer/Wiedmann/Huber Art 1 EuBVO Rz 29). Auch bei Notaren kommt es wesentlich darauf an, ob sie zu einer ›Entscheidung‹ befugt sind (ausf Knöfel RIW 21, 247, 259). Schiedsgerichte sind keine Gerichte idS, da sie weder eine staatliche Einrichtung sind (›eines Mitgliedstaats‹) noch obligatorische Gerichtsbarkeit ausüben (Zö/Geimer Art 1 Rz 9; aA Geimer/Schütze/Knöfel Art 1 Rz 30). Ein Schiedsgericht kann daher nicht selbst auf die EuBVO zurückgreifen, sondern allenfalls ein staatliches Gericht um Unterstützung bei der Beweisaufnahme bitten, etwa gem § 1050 (s § 1050 Rn 2).