Gesetzestext

 

(1) Soweit sich aus den Artikeln 3, 4 und 5 keine Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats ergibt, bestimmt sich die Zuständigkeit in jedem Mitgliedstaat nach dem Recht dieses Staates.

(2) Jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat, kann die in diesem Staat geltenden Zuständigkeitsvorschriften wie ein Inländer gegenüber einem Antragsgegner geltend machen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat oder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt oder im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands sein ›domicile‹ nicht im Hoheitsgebiet eines dieser Mitgliedstaaten hat.

 

Rn 1

Die Art 6 und 7 stehen in engem Zusammenhang zueinander (ThoPu/Hüßtege Art 6 Rz 1; Andrae/Schreiber IPRax 10, 79). Denn Art 6 dient dazu, den Rückgriff auf nationale Zuständigkeitsvorschriften, den Art 7 ermöglicht, weitest möglich zurückzudrängen. Zu diesem Zweck ordnet Art 6 an, dass gegen einen Ehegatten, der entweder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat oder dessen Staatsangehöriger er ist, ein Verfahren vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaates nur geführt werden kann, wenn dieser andere Verordnungsmitgliedstaat nach den Art 3 bis 5 international zuständig ist (vgl EuGH FamRZ 22, 1466; Anm Dimmler FamRB 22, 423; ein Sorgerechtsverfahren kann dagegen im Heimatstaat geführt werden). Die Sperrwirkung des Art 6 ist auch bei einer mehrfachen Staatsangehörigkeit zu beachten. Auf die Effektivität kommt es gerade nicht an (vgl EuGH FamRZ 09, 1571 zu Art 3 I lit b; NK-BGB/Gruber Art 7 Rz 7). Auch bei einem gemeinsamen Antrag ist ggf die Sperre des Art 6 zu beachten (näher NK-BGB/Gruber Art 7 Rz 8). Ob Art 6 zurückzustehen hat, sofern die Sperrwirkung zu einer Rechtsverweigerung wegen der nicht vorgesehenen Möglichkeit einer Scheidung führt, konnte der BGH (FamRZ 13, 687 m Anm Hau) zu Recht dahinstehen lassen. In Europa haben zwischenzeitlich alle Mitgliedstaaten die Zugangsvoraussetzungen für eine Scheidung geregelt. Art 7 I bestimmt, dass (nur) wenn keine Zuständigkeit eines Gerichts (irgend)eines Verordnungsmitgliedstaates nach den Art 3 bis 5 der VO besteht, das angerufene Gericht seine Zuständigkeit nach seinem nationalen Recht bestimmen kann.

 

Rn 2

Das Verhältnis der Art 6 und 7 I ist für die Praxis geklärt: Der EuGH (FamRZ 08, 128; s.a. Anm Borrás IPRax 08, 233) hat befunden, dass die Art 6 und 7 so auszulegen sind, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats, wenn der Antragsgegner in einem Ehescheidungsverfahren weder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat noch die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzt, ihre Zuständigkeit für die Entscheidung über den entsprechenden Antrag nicht aus ihrem nationalen Recht herleiten können, sofern die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nach Art 3 zuständig sind. Hatte also etwa der sich zurzeit gewöhnlich in Argentinien aufhaltende argentinische Antragsgegner zuvor mit seiner den Scheidungsantrag stellenden deutschen Ehefrau einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien, wobei die Ehefrau weiterhin in Spanien lebt, so ist wegen Art 7 I – in seiner Auslegung durch den EuGH – dem angerufenen deutschen Gericht der Rückgriff auf § 98 FamFG versperrt, und es ist Art 3 I lit a, 2. Spiegelstrich maßgebend. Ein Rückgriff auf § 98 FamFG ist allerdings aufgrund der Nicht-EU-Staatsangehörigkeit des Mannes möglich, sofern die Ehefrau nach Deutschland übersiedelt und sogleich einen Scheidungsantrag stellt. Weiterhin ist § 98 FamFG anzuwenden, wenn die Eheleute in einem Nichtmitgliedsstaat leben, der Antrag in Deutschland gestellt wird und ein Ehegatte nicht die EU-Staatsangehörigkeit besitzt. Der österreichische OGH hat folgenden weiteren Fall entschieden: Die Antragstellerin, Österreicherin, und der italienische Antragsgegner lebten in der Schweiz. Bei Trennung zog die Antragstellerin nach Österreich, wo sie vor Ablauf der Sechsmonatsfrist des Art 3 I lit a, 6. Spiegelstrich die Scheidung einreichte. Der OGH lehnte – ebenfalls noch vor Ablauf dieser Frist – hier zutr einen Rückgriff auf die nationalen Zuständigkeitsvorschriften (Art 7 I) ab, weil es wegen der italienischen Staatsangehörigkeit des Antragsgegners eine Sperrwirkung des Art 6 lit b annahm, da die österreichischen Gerichte nach den Art 3–5 nicht zuständig waren (OGH Wien IPRax 10, 74; Anm Andrae/Schreiber IPRax 10, 79).

 

Rn 3

Art 7 II VO stellt einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hat, einem Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates gleich, wenn der Antragsgegner weder einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat noch eine Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates hat. So soll ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV vermieden werden. Eine Spanierin, die von Kanada nach Deutschland umzieht und dort unverzüglich (sonst ggf wege...

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