Gesetzestext

 

(1) War ein verfahrenseinleitendes Schriftstück oder ein diesem gleichwertiges Schriftstück nach dieser Verordnung zum Zwecke der Zustellung in einen anderen Mitgliedstaat zu übermitteln und hat sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen, so ergeht kein Urteil, bis festgestellt ist, dass das Schriftstück so rechtzeitig zugestellt oder übergegeben worden ist, dass der Beklagte genügend Zeit hatte, um sich verteidigen zu können, und dass

a) das Schriftstück in einer Weise zugestellt worden ist, die das Recht des Empfangsmitgliedstaats für die Zustellung von Schriftstücken in einem innerstaatlichen Rechtsstreit an dort befindliche Personen vorschreibt, oder
b) das Schriftstück tatsächlich entweder dem Beklagten persönlich ausgehändigt oder nach einem anderen in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren in der Wohnung des Beklagten abgegeben worden ist.

(2) Jeder Mitgliedstaat kann der Kommission mitteilen, dass ein Gericht ungeachtet des Absatzes 1 den Rechtsstreit entscheiden kann, auch wenn keine Bescheinigung über die Zustellung oder die Aushändigung bzw. Abgabe des verfahrenseinleitenden Schriftstücks oder ein diesem gleichwertiges Schriftstück eingegangen ist, sofern alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

a) Das Schriftstück ist nach einem in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren übermittelt worden;
b) seit der Absendung des Schriftstücks ist eine Frist verstrichen, die das Gericht im Einzelfall als angemessen erachtet, mindestens jedoch eine Frist von sechs Monaten;
c) es wurde keine Bescheinigung irgendeiner Art erlangt, obwohl alle zumutbaren Schritte zu ihrer Erlangung durch die zuständigen Behörden oder Stellen des Empfangsmitgliedstaats unternommen wurden.

Diese Informationen werden im Europäischen Justizportal zugänglich gemacht.

(3) Ungeachtet der Absätze 1 und 2 können Gerichte in begründeten dringenden Fällen einstweilige Maßnahmen oder Sicherungsmaßnahmen anordnen.

(4) War ein verfahrenseinleitendes Schriftstück oder ein diesem gleichwertiges Schriftstück nach dieser Verordnung zum Zweck der Zustellung in einen anderen Mitgliedstaat zu übermitteln, und ist eine Entscheidung gegen einen Beklagten ergangen, der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, so kann das Gericht dem Beklagten unter Außerachtlassung des Ablaufs der Frist für die Einlegung von Rechtsmitteln die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, sofern die beiden folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

a) Der Beklagte hat ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig Kenntnis von dem Schriftstück erlangt, dass er sich hätte verteidigen können, oder nicht so rechtzeitig Kenntnis von der Entscheidung erlangt, dass er ein Rechtsmittel hätte einlegen können, und
b) die Verteidigung des Beklagten scheint nicht von vornherein in der Sache aussichtslos.

Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nur innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem der Beklagte von der Entscheidung Kenntnis erhalten hat, gestellt werden.

Jeder Mitgliedstaat kann der Kommission mitteilen, dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf einer durch den Mitgliedstaat in seiner Mitteilung bestimmten Frist unzulässig ist. Diese Frist muss mindestens ein Jahr ab dem Datum der Entscheidung betragen. Diese Informationen werden über das Europäische Justizportal zugänglich gemacht.

(5) Absatz 4 gilt nicht für Entscheidungen, die den Personenstand oder die Rechtsfähigkeit von Personen betreffen.

 

Rn 1

Die Regelung in Abs 1 stellt klar, dass das Gericht vor Erlass eines Urteils oder einer anderen Sachentscheidung zu prüfen hat, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt wurde (vgl auch § 335 I Nr 2). Bei fehlenden Übersetzungen überlässt die EuZVO aber dem Empfänger die Entscheidung, ob er diese gegen sich gelten lassen will (Art 9 Rn 1); die Vorschrift gilt daher insoweit nur dann entspr, wenn der Empfänger die Annahme zu Recht verweigert hat (Art 22 Rn 13).

 

Rn 2

Die Bundesregierung hat zu Art 19 II aF (Fehlen der Zustellungsbescheinigung) erklärt, dass eine öffentliche Zustellung notwendig ist, bevor deutsche Gerichte den Rechtsstreit entscheiden können. Damit ist gem Art 22 II unter den weiteren dort genannten Voraussetzungen im deutschen Zivilprozess der Erlass eines Versäumnisurteils auch dann zulässig, wenn eine Bescheinigung über die Zustellung nicht zu erlangen ist. Zu den zumutbaren Schritten iSd Abs 2 lit c soll es nach Erw 35 auch gehören, den Beklagten über alle verfügbaren Kommunikationskanäle – einschließlich der modernen Kommunikationstechnologie – davon in Kenntnis zu setzen, dass ein Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, wenn dem angerufenen Gericht eine Anschrift oder ein Konto bekannt ist und dies mit dem nationalen Recht nicht unvereinbar ist. Danach dürfte die Mitteilung über die öffentliche Zustellung an eine bekannte E-Mail-Adresse zu übermitteln sein, ggf auch an eine bekannte Mobilfunknummer.

 

Rn 3

Die Wiedereinsetzung gem Abs 4 ist ein autonomer Re...

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