Prof. Dr. Thomas Pfeiffer
Rn 15
Für Insolvenzverfahren gilt die Insolvenz-VO 2015/848. Die Ausnahme gem lit b schließt hieran begrifflich nahtlos an und ist im systematischen Einklang hiermit europäisch-autonom auszulegen. Sie erfasst Verfahren, die auf der Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung beruhen und ein Eingreifen des Gerichts zum Zwecke von Liquidation oder Fortführung vorsehen bzw unmittelbar aus einem solchen Verfahren hervorgehen (EuGH Slg 79, 733: bejaht für franz comblement de passif social). Die Leistungsklage des Gläubigers auf Aussonderung fällt deshalb nicht unter die Ausnahme (EuGH C-292/08). Erfasst werden Streitigkeiten, deren spezifischen Gegenstand besondere insolvenzrechtliche Befugnisse des Verwalters bilden (EuGH Slg 09, I-5655) oder die sonst ihrer Rechtsgrundlage nach insolvenzrechtlicher Natur sind (EuGH C-649/16 Rz 29). Diese sog Annexverfahren sind dadurch gekennzeichnet, dass in einem normalen Zivilprozess über massebezogene Fragen gestritten wird, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens entstehen und in engem Zusammenhang damit stehen (Piekenbrock LMK 15, 374737). Die Annexzuständigkeiten greifen auch, wenn der Bekl seinen Sitz in einem Drittstaat hat (EuGH C-328/12; C-295/13). Erfasst werden: die Insolvenzanfechtung durch den Verwalter (EuGH Slg 09, I-767; BGH NJW 09, 2215 [BGH 19.05.2009 - IX ZR 39/06]), Schadensersatzklagen gegen den Gläubigerausschuss wegen Pflichtverletzungen (EuGH C-649/16), die Inanspruchnahme eines Geschäftsführers für Zahlungen in der Krise (EuGH C-295/13 zu § 64 GmbHG) oder Klagen auf Feststellung einer Insolvenzforderung (EuGH C47/18); anders liegt es bei Zession der Rückgewährforderung an Dritten (EuGH C-213/10) und bei der Gläubigeranfechtungsklage (EuGH C-337/17). Ebenfalls nicht erfasst: die gewöhnliche Leistungsklage des Insolvenzverwalters, selbst, wenn deren Ausgang von der Beurteilung eines vorgreiflichen insolvenzrechtlich zu qualifizierenden Rechtsverhältnisses abhängt (BGH ZIP 15, 2192); nicht Reorganisationsverfahren ohne Insolvenz (BGH NJW 12, 2113: engl Scheme of Arrangement). Ein nur wirtschaftlicher Zusammenhang zur Insolvenz genügt ebenfalls nicht; Ansprüche gegen Mitglieder der Unternehmensleitung wegen Insolvenzverschleppung oder Unterkapitalisierung, die auf gesellschaftsrechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt werden, fallen nicht unter die Ausnahme (EuGH C-147/12); für deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen kann nichts anderes gelten. Kein nahtloser Anschluss zwischen EuGVO und InsVO besteht im Anwendungsbereich von Art 1 II InsVO, der Insolvenzverfahren bei bestimmten Finanzdienstleistern vom Anwendungsbereich der InsVO ausnimmt. Soweit der Insolvenzverwalter in einem solchen Fall eine Insolvenzanfechtung geltend macht, ist die EuGVO wegen der Ausnahme für Insolvenzverfahren nicht anwendbar; es greift aber auch die InsVO nicht, so dass es zur (eigentlich unerwünschten) Anwendung nationalen Zuständigkeitsrechts kommt (Frankf ZIP 13, 277).