Prof. Dr. Thomas Pfeiffer
Rn 1
Die Vorschriften (bis 2015: ex-Art 15–17) sind als Abweichung vom Prinzip des Beklagtengerichtsstands nicht über ihren eigentlichen Anwendungsbereich ausdehnbar (EuGH Slg 93, I-139). Maßgebend ist eine autonome Auslegung (EuGH Slg 99, I-2277 Rz 26). Art 17 legt den Anwendungsbereich des zuständigkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes fest. Art 18 konkretisiert den Gerichtsstand. Art 19 enthält Regelungen zur Abweichung von den Gerichtsständen des Art 18 durch Vereinbarung, wobei die Maßgaben des Art 19 zusätzlich zu den Erfordernissen des Art 25 gelten. Die Darlegungs- und Beweislast für die Anwendung der Art 17 ff trägt die Partei, die sich hierauf beruft. Dem verbraucherrechtlichen Anliegen dieser Vorschriften wird dadurch entsprochen, dass die Anforderungen an die Darlegungslast des Verbrauchers nicht überspannt werden und den Unternehmer bei entsprechendem Verbrauchervortrag eine sekundäre Substantiierungslast in Bezug auf die Ausrichtung seiner Tätigkeit trifft (BGH NJW 15, 2339 [BGH 15.01.2015 - I ZR 88/14]).
Rn 2
Dem sachlichen Anwendungsbereich nach beziehen sich die Vorschriften auf Streitigkeiten aus Vertrag. Sie sind damit leges speciales ggü Art 7 Nr 1 (EuGH Slg 05, I-481 Rz 31 f). Der Vertragsbegriff unterscheidet sich zwar insofern von demjenigen des Art 7 Nr 1 als die Art 17–19 nur Verbraucherverträge erfassen. Wie bei Art 7 Nr 1 bedarf es aber einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung. Art 17 erfasst auch gesetzliche Ansprüche, die mit einem Vertrag untrennbar verbunden sind. Hierunter fallen Ansprüche aus mit einem Vertragsabschluss verbundenen Gewinnzusagen oder auch vorvertragliche Ansprüche aus Aufklärungspflichtverletzung, wenn es später zu einem Vertragsschluss gekommen ist (BGH NJW 11, 2809 [BGH 31.05.2011 - VI ZR 154/10]), nicht aber, wenn es an einem Vertragsschluss fehlt, bei Prospekthaftung oder Culpa in contrahendo (EuGH C-375/13). Der BGH erstreckt Art 17 auch auf annexe Deliktsklagen, soweit es um mit einem Vertrag ›untrennbar‹ verknüpfte Delikte geht (BGHZ 187, 156 – zweifelhaft). Das in Art 17 I lit a enthaltene Merkmal des Teilzahlungskaufs ist europäisch-autonom auszulegen (EuGH Slg 78, 1431) im Einklang mit Art 2 lit c Verbraucherkredit-RL II 2008/48. Erforderlich ist die Vereinbarung von mehreren Zahlungen oder die Vereinbarung einer verbundenen Kreditfinanzierung (EuGH Slg 99, I-2277 Rz 28). Erforderlich ist zudem ein Abzahlungsgeschäft; die Vorschrift greift nicht, wenn der Besitz erst nach vollständiger Kaufpreiszahlung übergeht (EuGH Slg 99, I-2277 Rz 31). Isolierte Gewinnzusagen fallen nicht unter lit a (EuGH Slg 05, 481), können aber unter Art 17 I lit c fallen. Die in Abs 3 enthaltene Ausnahme für Beförderungsverträge steht im Zusammenhang mit der Parallelausnahme in Art 6 IV lit b Rom I VO und ist im Einklang damit auszulegen (EuGH verb C-585/08 u C-144/09, Rz 40). Sie gilt gleichermaßen für die Personen- und Güterbeförderung. Die Rückausnahme für Reiseverträge entspricht dem Anwendungsbereich der Pauschalreiserichtlinie und ist daher im Einklang mit der Pauschalreise-RL 90/314 auszulegen. Erforderlich ist also, dass die Leistung des Anbieters von den drei möglichen Elementen – Beförderung, Unterbringung und sonstige touristische Leistungen (außerhalb bloßer Nebenleistungen von Unterbringung und Beförderung), soweit letztere erhebliches Gewicht haben – wenigstens zwei umfasst, außerdem wenigstens 24 Stunden andauert und hierfür ein Gesamtpreis berechnet wird (EuGH verb C-585/08 u C-144/09, Rz 37). Hierunter kann auch eine Frachtschiffsreise fallen (EuGH verb C-585/08 u C-144/09, Rz 45).
Rn 3
Bei den räumlich-territorialen Anwendungsvoraussetzungen unterscheidet Art 18 nach der Parteirolle: Auf Aktivprozesse des Verbrauchers sind Art 17 ff auch dann anwendbar, wenn der Unternehmer seinen Sitz in einem Drittstaat hat. Das bedeutet, dass – entgegen einer früheren Rechtslage (EuGH Slg 94, I-4275; BGH NJW 95, 1225) – der Verbraucher den Unternehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art 17 auch dann am Verbraucher-Heimatgerichtsstand verklagen kann, wenn der Unternehmer seinen Sitz in einem Drittstaat hat (Art 18 I Fall 2). Passivprozesse des Verbrauchers: Der Unternehmer kann den Verbraucher (erneut: bei Eingreifen des Art 17) ebenfalls nur am Verbraucher-Heimatgerichtsstand verklagen (Art 18 II). Der Begriff des Vertrags in Art 17 knüpft an denjenigen des Art 7 an (hiervon ausgehend EuGH Slg 02, I-6367; für Gewinnzusagen Art 7 Rn 2).
Rn 4
Der eine Vertragspartner muss Verbraucher sein. Die Verbrauchereigenschaft setzt die Einordnung als natürliche Person voraus (EuGH Slg 01, I-9049). Auch Personenmehrheiten, die keine juristische Person sind, scheiden aus, wenn sie als Rechtssubjekt handeln (EuGH 2.4.20 C-329/19 = ECLI:EU:C:2020:263: WEG nach italienischem Recht); das schließt auch Verbraucherschutzorganisationen aus (EuGH Slg 02, I-8111). Ferner ist ein Handeln beim Vertragsschluss zu einem privaten Zweck erforderlich, der wiederum dadurch definiert wird, dass ...