Prof. Dr. Thomas Pfeiffer
I. Regelungsziel.
Rn 2
Die Vorschrift grenzt den Kreis der Entscheidungen ein, die nach Kapitel III anerkannt und vollstreckt werden. In Betracht kommen insoweit nur Entscheidungen von Gerichten der Mitgliedstaaten, die sachlich Zivil- und Handelssachen iSv Art 1 zum Gegenstand haben und die in den zeitlichen Anwendungsbereich der Verordnung fallen (vgl Art 66, insb Abs 2, Art 76). Die früher hM, dass das Zweitgericht an die vom Ursprungsgericht vorgenommene Qualifikation als Zivil- bzw Handelssache iSd EuGVÜ gebunden sei (BGH NJW 76, 478, 480 [BGH 26.11.1975 - VIII ZB 26/75]), wird in der Kommentarliteratur zu Recht abgelehnt (vgl nur Geimer/Schütze/Geimer Art 32 EuGVO Rz 9). Fällt der Gegenstand einer Entscheidung nur tw in den sachlichen Anwendungsbereich, kommen tw Anerkennung und Vollstreckung in Betracht. Speziellere Verordnungen bleiben gem Art 67 von der EuGVO unberührt. Soweit allerdings eine unbestrittene Forderung tituliert worden ist, räumt Art 27 EuVTVO dem Gläubiger ein Wahlrecht ein, ob er nach dieser Verordnung oder nach der EuGVO vorgehen will. Mit Blick auf eine erfolgte Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel iSd EuVTVO hat der BGH (EuZW 10, 319 [BGH 04.02.2010 - IX ZB 57/09] mit Anm Pfeiffer, LMK 10, 303291; Bittmann IPRax 11, 55) (allerdings ohne EuGH-Vorlage) den Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für ein Vorgehen nach Art 39 ff EuGVO angenommen. Zum Verhältnis von EuGVO und staatsvertraglichen Übereinkommen bzw Abkommen vgl Art 69 bis 71.
II. Entscheidung im Einzelnen.
1. Begriff.
Rn 3
Das Merkmal ›Entscheidung‹ ist europäisch-autonom auszulegen (BGH NJW-RR 06, 144). Beispielhaft werden in der Vorschrift ausdrücklich aufgezählt: ›Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten.‹ Dies stellt klar, dass nicht nur Urteile der Anerkennung und Vollstreckung fähig sind, sondern im Grundsatz jedweder von einem Rechtsprechungsorgan eines Mitgliedstaats in einem justizförmigen Verfahren (dazu EuGH C-414/92 – Solo Kleinmotoren, Rz 17, NJW 95, 38, 39) erlassene Ausspruch, durch den etwas zugebilligt oder aberkannt wird. Das umfasst zB Zahlungsanordnungen, die ein mitgliedstaatliches Gericht nach einem kontradiktorischen Verfahren erlassen hat, auch wenn die Anordnung auf der Anerkennung der Rechtskraftwirkung eines drittstaatlichen Urteils beruht (EuGH ECLI:EU:C:2022:264 Rz 25 ff). Nach überwiegender Sicht sind zudem Prozessurteile, insb die Klageabweisung mangels internationaler Zuständigkeit (hierzu nunmehr EuGH – C-456/11 – Gothaer Allgemeine Versicherung/Samskip, EuZW 2012, 60), erfasst (MüKoZPO/Gottwald Rz 8; Kropholler/v Hein Rz 14; Rauscher/Leible Rz 5; aA Zö/Geimer Rz 11; ThoPu/Hüßtege Rz 1). Dabei ist grds unbeachtlich, ob das Gericht aufgrund einer ›Verordnungszuständigkeit‹ oder aufgrund einer Zuständigkeit iSd Art 4 entschieden hat und ob der entschiedene Sachverhalt ein ›internationaler‹ war.
2. Form.
Rn 4
Form und Inhalt der Entscheidung sind grds unbeachtlich. Der Anerkennung und Vollstreckung fähig sind daher insb auch abgekürzte Urteile, deren Überprüfbarkeit nach Art 45 freilich erschwert ist.
3. Rechtskraft/Vorläufige Entscheidungen.
Rn 5
Die Rechtskraft einer Entscheidung ist nicht Voraussetzung für ihre Anerkennung und Vollstreckung (Jenard-Bericht zu Art 26 EuGVÜ; München NJW-RR 08, 736 [OLG München 11.12.2007 - 25 W 2462/07]). Der Anerkennung unterliegen daher neben für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteilen bspw auch ein ›decreto ingiuntivo‹ (italienischer Mahnbescheid), der nach Einlegung des Widerspruchs gem Art 648 der italienischen Zivilprozessordnung für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist (Zweibr RIW 06, 709). Dem Schutz der anderen Partei wird durch die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens (Art 38, 51) Rechnung getragen.
4. Eil- und Sicherungsmaßnahmen.
Rn 6
Erfasst werden auch einstweilige Anordnungen der Gerichte einschließlich Sicherungsmaßnahmen (EuGH C-39/02 – Mærsk Olie & Gas A/S, Rz 46, IPRax 06, 262 [BGH 20.11.2003 - I ZR 294/02]), etwa ein schwedischer Arrestbeschluss (BGH NJW-RR 07, 1573 [BGH 21.12.2006 - IX ZB 150/05]). Das erkennt jetzt lit a UnterAbs 2 ausdrücklich an. Allerdings enthält die Vorschrift in UnterAbs 2 zwei wichtige Ausnahmen. Zunächst scheidet lit a UnterAbs 2 diejenigen Eil- und Sicherungsentscheidungen aus dem Kreis der anzuerkennenden Entscheidungen aus, die in (zulässiger) Anwendung nationalen Rechts von einem anderen Gericht als demjenigen der Hauptsache erlassen werden (Domej RabelsZ 78 [14], 509, 543). Eine Anerkennung und Vollstreckung nach nationalem Recht bleibt möglich (Begründungserwägung 33). Außerdem werden aus dem Kreis der erfassten Entscheidungen solche ausgeschlossen, die ohne Ladung der anderen Seite ergehen und dieser auch nicht wenigstens vor der Vollstreckung zugestellt wurden. Die strenge, frühere Maßgabe, dass der Gegenseite stets die Möglichkeit eines kontradiktorischen Verfahrens eröffnet gewesen sein muss (EuGH 125/79 – Denilauler/Couchet) gilt daher nicht mehr uneingeschränkt (Domej RabelsZ 78 [14], 509, 545).
5. Zwischenentscheidungen.
Rn 7
Entscheidungen, welche ein...