Prof. Dr. Thomas Pfeiffer
1. Begriff.
Rn 3
Das Merkmal ›Entscheidung‹ ist europäisch-autonom auszulegen (BGH NJW-RR 06, 144). Beispielhaft werden in der Vorschrift ausdrücklich aufgezählt: ›Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten.‹ Dies stellt klar, dass nicht nur Urteile der Anerkennung und Vollstreckung fähig sind, sondern im Grundsatz jedweder von einem Rechtsprechungsorgan eines Mitgliedstaats in einem justizförmigen Verfahren (dazu EuGH C-414/92 – Solo Kleinmotoren, Rz 17, NJW 95, 38, 39) erlassene Ausspruch, durch den etwas zugebilligt oder aberkannt wird. Das umfasst zB Zahlungsanordnungen, die ein mitgliedstaatliches Gericht nach einem kontradiktorischen Verfahren erlassen hat, auch wenn die Anordnung auf der Anerkennung der Rechtskraftwirkung eines drittstaatlichen Urteils beruht (EuGH ECLI:EU:C:2022:264 Rz 25 ff). Nach überwiegender Sicht sind zudem Prozessurteile, insb die Klageabweisung mangels internationaler Zuständigkeit (hierzu nunmehr EuGH – C-456/11 – Gothaer Allgemeine Versicherung/Samskip, EuZW 2012, 60), erfasst (MüKoZPO/Gottwald Rz 8; Kropholler/v Hein Rz 14; Rauscher/Leible Rz 5; aA Zö/Geimer Rz 11; ThoPu/Hüßtege Rz 1). Dabei ist grds unbeachtlich, ob das Gericht aufgrund einer ›Verordnungszuständigkeit‹ oder aufgrund einer Zuständigkeit iSd Art 4 entschieden hat und ob der entschiedene Sachverhalt ein ›internationaler‹ war.
2. Form.
Rn 4
Form und Inhalt der Entscheidung sind grds unbeachtlich. Der Anerkennung und Vollstreckung fähig sind daher insb auch abgekürzte Urteile, deren Überprüfbarkeit nach Art 45 freilich erschwert ist.
3. Rechtskraft/Vorläufige Entscheidungen.
Rn 5
Die Rechtskraft einer Entscheidung ist nicht Voraussetzung für ihre Anerkennung und Vollstreckung (Jenard-Bericht zu Art 26 EuGVÜ; München NJW-RR 08, 736 [OLG München 11.12.2007 - 25 W 2462/07]). Der Anerkennung unterliegen daher neben für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteilen bspw auch ein ›decreto ingiuntivo‹ (italienischer Mahnbescheid), der nach Einlegung des Widerspruchs gem Art 648 der italienischen Zivilprozessordnung für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist (Zweibr RIW 06, 709). Dem Schutz der anderen Partei wird durch die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens (Art 38, 51) Rechnung getragen.
4. Eil- und Sicherungsmaßnahmen.
Rn 6
Erfasst werden auch einstweilige Anordnungen der Gerichte einschließlich Sicherungsmaßnahmen (EuGH C-39/02 – Mærsk Olie & Gas A/S, Rz 46, IPRax 06, 262 [BGH 20.11.2003 - I ZR 294/02]), etwa ein schwedischer Arrestbeschluss (BGH NJW-RR 07, 1573 [BGH 21.12.2006 - IX ZB 150/05]). Das erkennt jetzt lit a UnterAbs 2 ausdrücklich an. Allerdings enthält die Vorschrift in UnterAbs 2 zwei wichtige Ausnahmen. Zunächst scheidet lit a UnterAbs 2 diejenigen Eil- und Sicherungsentscheidungen aus dem Kreis der anzuerkennenden Entscheidungen aus, die in (zulässiger) Anwendung nationalen Rechts von einem anderen Gericht als demjenigen der Hauptsache erlassen werden (Domej RabelsZ 78 [14], 509, 543). Eine Anerkennung und Vollstreckung nach nationalem Recht bleibt möglich (Begründungserwägung 33). Außerdem werden aus dem Kreis der erfassten Entscheidungen solche ausgeschlossen, die ohne Ladung der anderen Seite ergehen und dieser auch nicht wenigstens vor der Vollstreckung zugestellt wurden. Die strenge, frühere Maßgabe, dass der Gegenseite stets die Möglichkeit eines kontradiktorischen Verfahrens eröffnet gewesen sein muss (EuGH 125/79 – Denilauler/Couchet) gilt daher nicht mehr uneingeschränkt (Domej RabelsZ 78 [14], 509, 545).
5. Zwischenentscheidungen.
Rn 7
Entscheidungen, welche eine lediglich verfahrensinterne Bedeutung aufweisen, ohne auf eine Regelung der zwischen den Parteien bestehenden Rechtverhältnisse abzuzielen (Zwischenentscheidungen), fallen nicht unter Art 32 (so für ein französisches Beweissicherungsverfahren Hambg IPRax 00, 530 [OLG Hamburg 29.09.1999 - 8 W 235/99]).
6. Nebenentscheidungen.
Rn 8
Art 2 erfasst auch Nebenentscheidungen, also insb Kostenentscheidungen, unter der Voraussetzung, dass die Hauptsache vom Anwendungsbereich der EuGVO umfasst ist, nicht hingegen Gerichtskostenrechnungen als Akte der Justizverwaltung (Schlesw RIW 97, 513). Demgegenüber hat der BGH (NJW-RR 06, 143, 144 [BGH 22.09.2005 - IX ZB 7/04]) die gerichtliche Vollstreckbarerklärung eines Beschlusses der Anwaltskammer von Paris über ein Anwaltshonorar als Entscheidung iSv Art 36 ff eingeordnet.
7. Exequaturentscheidungen.
Rn 9
Keine Entscheidungen iSv Art 2 sind Entscheidungen von Gerichten der Mitgliedstaaten, welche die Anerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung oder deren Vollstreckbarerklärung beinhalten.