Zusammenfassung

 

Art. 32 Brüssel Ia-VO(1) Für die Zwecke dieses Abschnitts gilt ein Gericht als angerufen:

a) zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Beklagten zu bewirken, oder
b) falls die Zustellung an den Beklagten vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen.

Die für die Zustellung verantwortliche Stelle im Sinne von Buchstabe b ist die Stelle, die die zuzustellenden Schriftstücke zuerst erhält.

(2) Das Gericht oder die für die Zustellung verantwortliche Stelle gemäß Absatz 1 vermerkt das Datum der Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks oder gleichwertigen Schriftstücks beziehungsweise das Datum des Eingangs der zuzustellenden Schriftstücke.

 

Rn 1

Die Vorschrift beruht in Abs 1 auf ex-Art 30. Ihr Abs 1 regelt den Zeitpunkt der Anhängigkeit oder Rechtshängigkeit für die Zwecke der Art 29–31. Er ersetzt die frühere Rspr, wonach es auf die ›endgültige Rechtshängigkeit‹ nach Maßgabe des nationalen Verfahrensrechts ankam (EuGH Slg 84, 2397). Die Lösung des Art 32 macht sich damit einen Vorschlag zu eigen, der bereits zuvor auf der Grundlage des nationalen Rechts vertreten wurde (Pfeiffer in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, 77, 98). Der neu eingefügte Abs 2 dient der praktischen Durchführung der Vorschrift.

 

Rn 2

Die Vorschrift sieht keine vollständige Regelung der Anhängigkeit oder Rechtshängigkeit vor. Vielmehr bestimmt sie lediglich für die Zwecke der Art 29–31 den Zeitpunkt, zu dem ein Gericht als ›angerufen‹ gilt. Für sonstige Voraussetzungen oder Rechtsfolgen der An- oder Rechtshängigkeit bleibt es bei dem nationalen Recht oder etwaigen Sonderregelungen anderer Rechtsakte. Dem Inhalt nach wird der maßgebende Zeitpunkt nur zT europäisch-autonom bestimmt. Bei der Anwendung ist in einem ersten Schritt das auf das in Rede stehende Verfahren anwendbare nationale Prozessrecht daraufhin zu befragen, ob es bei der Klageerhebung vorsieht, dass die Klageschrift zuerst bei Gericht einzureichen ist (lit a) oder ob es verlangt, dass diese dem Beklagten vor der Einreichung bei Gericht zugestellt wird (lit b) (EuGH C-523/14). Da es bei den Art 29 ff auf einen Vergleich zweier Verfahren ankommt, ist diese Prüfung für jedes Verfahren gesondert vorzunehmen. Damit kann es sein, dass auf beide Verfahren dieselbe lit des Art 32 anwendbar ist; es ist aber auch möglich, dass die Feststellung des Zeitpunkts für das eine Verfahren nach lit a und für das andere nach lit b erfolgt.

 

Rn 3

Im Falle von Abs 1 lit a kommt es auf die Einreichung bei Gericht an. Damit kann nur der Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht, nicht der Absendung dorthin gemeint sein. Bei Adhäsionsklagen bleibt der Einreichungszeitpunkt auch dann maßgebend, wenn zunächst eine gerichtliche Voruntersuchung erforderlich ist (EuGH C-523/14). Die Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens genügt nicht (EuGH C-29/16). Als Gericht kann aber auch eine obligatorische Schlichtungsstelle in Betracht kommen (EuGH C467/16). Bei lit b ist die für die Zustellung maßgebende Stelle nach Maßgabe des nationalen Prozessrechts zu bestimmen. Auch hier kommt es darauf an, wann diese Stelle das klageeröffnende Schriftstück erhält.

 

Rn 4

Um in den Genuss der Vergünstigung von Abs 1 lit a oder lit b zu kommen, muss der Kl alles ihm Obliegende tun, um eine tatsächliche Zustellung an den Beklagten (lit a) oder eine Einreichung bei Gericht (lit b) zu erreichen. Welche Maßnahmen dem Kl jeweils obliegen, bestimmt sich nach den Regeln des angerufenen Forums. Hierzu können insb die Übermittlung etwa erforderlicher Angaben (zB eine zutreffende Zustellungsanschrift), die Einreichung etwa erforderlicher Anträge, Erklärungen oder sonstiger Schriftstücke sowie die Zahlung etwaiger Kosten oder Vorschüsse gehören. Die betreffenden Maßnahmen darf der Kl nicht versäumen. Als Versäumnis wird man es ansehen müssen, wenn der Kl ihm obliegende Maßnahmen gar nicht, nur verspätet oder fehlerhaft vornimmt, sofern sich der Fehler auswirkt. Ein Verschuldenskriterium ist jedenfalls im Wortlaut nicht enthalten, so dass man es auch nicht wird hineinlesen können.

 

Rn 5

Im Falle der Versäumnis der dem Kl obliegenden Maßnahmen kann die Vergünstigung nach lit a oder b nicht eingreifen. Art 32 sieht hierfür keine ausdrückliche Regelung vor. Aus dem Sinn der Vorschrift ergibt sich jedoch, dass es in diesem Fall für den säumigen Kl auf die ›endgültige Rechtshängigkeit‹ nach Maßgabe des nationalen Verfahrensrechts ankommt (EuGH Slg 84, 2397).

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