Prof. Dr. Boris Schinkels
Rn 2
Abs 2 gilt nur für die Vollstreckung, nicht für die Anerkennung (vgl auch Erwägungsgrund 30). Für erstere wird klargestellt, dass neben den Vorgaben aus Art 45 auch im autonom-nationalen Prozessrecht Gründe für die Verweigerung bzw Aussetzung der Vollstreckung vorgesehen werden können. Bereits aus dem Äquivalenzgrundsatz (Abs 1 S 2) ist dabei abzuleiten, dass keine Hemmnisse für die Vollstreckung von Titeln aus anderen Mitgliedstaaten aufgestellt werden dürfen, die nicht in vergleichbarer Weise auch für inländische Titel gelten. Nicht ganz unproblematisch ist insoweit etwa § 929 Abs 2 ZPO (vgl hierzu auch Wagner, EuZW 19, 37, 42). Zur Brüssel I-VO hat der EuGH (C-379/17 – ECLI:EU:C:2018:806 – Società Immobiliare Al Bosco Srl) den Rückgriff auf § 929 II ZPO zwar gebilligt, allerdings mit der Maßgabe einer Anknüpfung an die Vollstreckbarerklärung, welche die Brüssel Ia-VO nicht mehr vorsieht. Im Übrigen sind autonom-nationale Versagungsgründe insoweit nicht beachtlich, als sie sich mit den Versagungsgründen der VO tatbestandlich überschneiden (vgl v Hein RIW 13, 97, 110), weil ansonsten autonome Wertungen der VO ausgehebelt werden könnten.
Rn 3
Insofern folgt aus Abs 2 iVm Erwägungsgrund 30, dass die autonom-nationalen Einwendungen gegen die Vollstreckung bereits im Versagungsverfahren nach Art 46 ff selbst berücksichtigungsfähig sind (dafür HK-ZPO/Dörner Rz 7; Domej RabelsZ 78 [14], 508, 516; v Hein RIW 13, 97, 110; Pohl IPRax 13, 109, 114, Rauscher/Mankowski Rz 16; anderes hatte der EuGH [C-139/10 – Prism Investments] noch für das inzwischen abgeschaffte Vollstreckbarerklärungsverfahren geurteilt). Allerdings ist zu beachten, dass die Geltendmachung autonom-nationaler Versagungsgründe in Verfahren nach Art 46 ff mit Blick auf dessen Statthaftigkeit zunächst nur in Betracht kommt, soweit zumindest ein Versagungsgrund der VO geltend gemacht wird (vgl Erwägungsgrund 30; Domej RabelsZ 78 [14], 508, 516; Stürner DGVZ 16, 215, 224; aA HK-ZPO/Dörner, Art 46 Rz 2). Ferner wird teils aus dem Erfordernis eines ›Einklangs mit dem Rechtssystem im ersuchten Mitgliedstaat‹ im 30. Erwägungsgrund abgeleitet, dass es dem deutschen Gesetzgeber frei stehe, die Berücksichtigung insbesondere streitiger Einwendungen iSv § 767 ZPO aus dem Verfahren nach Art 46 IVm § 1115 ZPO herauszuhalten (so ThoPu/Hüßtege Art 46 Rz 5; keine solche Beschränkung erkennen hingegen etwa HK-ZPO/Dörner Rz 7; v Hein RIW 13, 97, 110; Pohl IPRax 13, 109, 114).
Rn 4
Unter der durchaus plausiblen Prämisse, dass Art 41 den Mitgliedstaaten anheimstellt, ob sie die Geltendmachung von nationalen Einwendungen einem besonderen Verfahren vorbehalten wollen (Rauscher/Mankowski Rz 32), stellt sich indessen die Frage, inwieweit der deutsche Gesetzgeber, der eine gesonderte Vollstreckungsabwehrklage vorgesehen hat (vgl § 1117 ZPO), hiermit die Geltendmachung von Einwendungen aus dem Verfahren nach Art 46 ausschließen wollte (in diesem Sinne für streitige Einwendungen ThoPu/Hüßtege Art 46 Rz 4; für den Erfüllungseinwand Wagner TransportR 15, 45, 54; a.A. wohl Hau MDR 14, 1417, 1419; Stürner DGVZ 16, 215, 224). Schlussendlich erheben Schlosser/Hess Rz 8 (vgl auch Hess IPRax 08, 25 ff), europarechtliche Bedenken gegen § 1117 ZPO: Da die Vollstreckungsgegenklage gegen inländische Urteile nur am Prozessgericht statthaft sei, sei die Schaffung eines weiteren Gerichtsstands im Vollstreckungsmitgliedstaat gem §§ 1117, 1186 ZPO ein Verstoß gegen den unionsrechtlichen Äquivalenzgrundsatz. Die Gegenansicht (Haubold FS Schütze 2015, 163, 178) findet indessen in der Prism-Investment-Entscheidung des EuGH (C-139/10) eine gewisse Stütze. Dort hatte sich der EuGH zumindest nicht pauschal gegen eine Berücksichtigung des Erfüllungseinwands im Vollstreckungsmitgliedstaat ausgesprochen, sondern nur gegen dessen Berücksichtigung im seinerzeitigen Verfahren der Vollstreckbarerklärung.