1. Vertrag.

 

Rn 2

Die Klage muss sich auf einen Vertrag stützen. Das Merkmal Vertrag ist autonom auszulegen und erfasst alle dem maßgebenden Rechtsverhältnis nach freiwillig eingegangenen Verpflichtungen. In diesem Rahmen wird das Merkmal recht weit ausgelegt (vgl. Pfeiffer LMK 19, 421945). Es kommt nicht auf die jew infrage stehende Pflicht, sondern auf das Rechtsverhältnis als Ganzes an; im Falle eines freiwillig abgeschlossenen Vertrags werden auch die daraus kraft Gesetzes erwachsenden Ansprüche erfasst (EuGH C-337/17: Gläubigeranfechtungsklage; C-722/17: Streitigkeiten über die Verteilung eines Zwangsversteigerungserlöses, soweit das Rechtsverhältnis unter den Gläubigern vertraglich geregelt ist; C-274/16: Fluggastrechte-VO). Freiwillig eingegangene Verpflichtungen können auch stillschweigend begründet werden (EuGHC-196/15). Sie umfassen nicht nur Schuldverträge aller Art (z.B. EuGH C-417/15: Schenkungen), sondern auch die hierdurch begründete dauerhafte Geschäftsverbindung, wenn diese im anwendbaren Recht Pflichten entstehen lässt (EuGH C-196/15), oder einseitig begründete Verbindlichkeiten (EuGH Slg 05, I-481). Hierunter fallen auch Geschäfte, die ein Vertreter abgeschlossen hat (EuGH Slg 04, I-1543) oder gesetzliche Ansprüche des Kunden gegenüber einem Subunternehmer des Vertragspartners (vgl EuGH C-274/16 zur Fluggastrechte-VO bei einheitlicher Buchung von Teilstrecken verschiedener Gesellschaften). Freiwillig eingegangene Verpflichtungen sind auch solche, die sich aus dem Beitritt zu einer Gesellschaft oder einem Verein ergeben, gleichviel ob sie unmittelbar aus dem Beitritt resultieren oder sich erst aus der Beschlussfassung eines Organs ergeben (EuGH Slg 83, 987; C-25/18 und C-433/19 = ECLI:EU:C:2020:900. Ansprüche aus einer WEG-Teilungserklärung, sofern sie nur gegenüber den Miteigentümern, nicht aber gegenüber jedermann wirken, also nicht dinglich zu qualifizieren sind; C421/18: freiwillig gegen Entgelt angebotene Zusatzleistungen einer öffentlich-rechtlichen Kammer an die Mitglieder). In Verbindung mit einer Bestellung stehende oder sonst rechtlich verbindliche ›Gewinnzusagen‹ stellen ebenfalls freiwillig eingegangene Verpflichtungen dar, selbst wenn im letztgenannten Fall damit keine Bestellung verbunden ist (EuGH Slg 05, 481; Slg 09, I-3961; BGHZ 165, 172; im letztgenannten Punkt noch offen Slg 02, I-6867 = ECLI:EU:C:2002:436; BGHZ 153, 82 – Folge: ggf Art 17 anwendbar); ferner der Anspruch des Wechsel- oder Schecknehmers gegen den Aussteller (offen lassend BGHZ 157, 224) oder einen Wechselbürgen (EuGH C-419/11, selbst bei Blankowechsel). Dazu gehören sekundärvertragliche Ansprüche (EuGH Slg 88, 1539) ebenso wie solche aus einem Vereinsbeitritt (EuGH Slg 83, 987). Seinem Sinn nach erfasst die Vorschrift auch Fälle, in denen Abschluss und Wirksamkeit eines Vertrags zwischen den Parteien streitig sind (EuGH Slg 82, 825; Slg 97, I-3767 Rz 30), also insbesondere auch Rückforderungsansprüche aus Leistungskondiktion infolge einer Vertragsnichtigkeit (EuGH C-366/13 Rz 57). Der EuGH will unter Nr 1 ausnahmsweise auch deliktsrechtliche Ansprüche fassen, wenn sich die Widerrechtlichkeit des Verhaltens erst aus dem Vertrag ergibt (EuGH C-548/12; C-47/14 Rz 70). Letzteres wird bei Kartelldelikten eines Vertragspartners allerdings verneint (EuGH C-59/19 = ECLI:EU:C:2020:950; BGH BB 21, 1553 [BGH 10.02.2021 - KZR 66/17]).

 

Rn 3

Nicht erfasst werden insb gesetzlich begründete Pflichten: Streitigkeiten aus Verschulden bei Vertragsschluss (EuGH Slg 02, I-7357), Prospekthaftung (EuGH C-375/13 Rz 57) oder gesetzliche Ansprüche innerhalb der Lieferkette (›action directe‹) gegen den vertraglich nicht mit dem Kl verbundenen Hersteller (EuGH Slg 92, I-3967); Ansprüche aus Urkunden, wenn die Urkunde keine freiwillig eingegangene Verpflichtung verbrieft (EuGH Slg 98, I-6511); gesetzliche Regressansprüche gegen einen tatsächlichen Verfrachter, zu dem keine Vertragsbeziehung besteht (EuGH Slg 98, I-6511).

2. Bestimmung des Erfüllungsorts.

 

Rn 4

Für Verträge begründet Nr 1 in unterschiedlicher Ausgestaltung einen Wahlgerichtsstand zugunsten des Klägers am vertraglichen Erfüllungsort. Die Vorschrift beruht zwar auf dem Gedanken der Sach- und Beweisnähe, greift aber aus Gründen der Rechtssicherheit und Zuständigkeitsklarheit auch ein, wenn es hieran im Einzelfall fehlt (EuGH Slg 94 I-2913). Für die Auslegung gilt insoweit das Prinzip der Konzentration, als es für dieselbe Verpflichtung idR nur einen Erfüllungsort geben soll. Deshalb hat der EuGH Nr 1 für unanwendbar gehalten, soweit es sich um eine überall zu erfüllende und damit nicht lokalisierbare Unterlassungspflicht handelt (EuGH Slg 02, I-1699).

 

Rn 5

Der Wortlaut der Vorschrift stellt allerdings sowohl auf den tatsächlichen Erfüllungsort (›erfüllt worden ist‹) als auch auf den vereinbarten Erfüllungsort (›zu erfüllen wäre‹) ab. Diese Alternative wird man nicht im Sinne eines Wahlrechts deuten dürfen, da eine Vervielfachung der Gerichtsstände unerwünscht ist. Deshalb muss man annehmen, dass es auf den tatsächlichen Er...

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