Gesetzestext
(1) Das Gericht soll das Verfahren von Amts wegen aussetzen, wenn nach seiner freien Überzeugung Aussicht auf Fortsetzung der Ehe besteht. Leben die Ehegatten länger als ein Jahr getrennt, darf das Verfahren nicht gegen den Widerspruch beider Ehegatten ausgesetzt werden.
(2) Hat der Antragsteller die Aussetzung des Verfahrens beantragt, darf das Gericht die Scheidung der Ehe nicht aussprechen, bevor das Verfahren ausgesetzt war.
(3) Die Aussetzung darf nur einmal wiederholt werden. Sie darf insgesamt die Dauer von einem Jahr, bei einer mehr als dreijährigen Trennung die Dauer von sechs Monaten nicht überschreiten.
(4) Mit der Aussetzung soll das Gericht in der Regel den Ehegatten nahelegen, eine Eheberatung in Anspruch zu nehmen.
A. Allgemeines.
Rn 1
Die Vorschrift entspricht weitgehend § 614 ZPO aF und soll es ermöglichen, bestehende Chancen auf Fortsetzung der Ehe zu nutzen, die nach Art 6 I GG unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht. Mit der Aussetzung soll den Ehegatten ein Zeitfenster geöffnet werden, in dem sie ohne Druck des laufenden Verfahrens ausloten können, ob eine einvernehmliche Beilegung ihres ehelichen Konflikts möglich ist (MüKoFamFG/Heiter § 136 Rz 1; FAKomm-FamR/Roßmann § 136 Rz 2).
B. Die Vorschrift im Einzelnen.
I. Anwendungsbereich.
Rn 2
Die Vorschrift gilt nunmehr ausschließlich für Verfahren auf Scheidung der Ehe; in Verfahren auf Aufhebung oder Feststellung des Nichtbestehens einer Ehe ist ein besonderes Eheerhaltungsinteresse nicht gegeben; im Vordergrund steht entweder die Frage der Mangelhaftigkeit der Eheschließung bzw die Klärung der Rechtslage (MüKoFamFG/Heiter § 136 Rz 3; Prütting/Helms/Helms § 136 Rz 4; FAKomm-FamR/Roßmann § 136 Rz 5). Die Vorschrift ist aber auch anwendbar, wenn neben der Scheidung hilfsweise auch die Aufhebung der Ehe begehrt wird, nicht aber im umgekehrten Fall der hilfsweise beantragten Scheidung neben einem Antrag auf Aufhebung der Ehe. Gem § 126 III hat das Verfahren auf Aufhebung der Ehe Vorrang, wenn ein Ehegatte die Scheidung und der andere die Aufhebung der Ehe beantragt (Zö/Lorenz § 136 Rz 1; Prütting/Helms/Helms § 136 Rz 4). Die Vorschrift gilt in allen Instanzen eines Scheidungsverfahrens (Zö/Lorenz § 136 Rz 1; ThoPu/Hüßtege § 136 Rz 1); eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung steht der Aussetzung nicht entgegen (Prüttting/Helms/Helms § 136 Rz 5).
II. Aussetzung vAw (Abs 1).
Rn 3
Gem Abs 1 S 1 kommt die Aussetzung des Verfahrens vAw in Betracht, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts Aussicht auf Fortsetzung der Ehe besteht. Dafür, dass die Ehe noch zu retten ist, müssen aber konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die einen solchen Schluss zulassen. Abstrakte Erwägungen über die Versöhnungsaussichten reichen nicht aus (Ddorf FamRZ 1978, 609; Hamm 17.5.78 – 5 WF 397/78; beide zu § 614 II ZPO aF). Erforderlich sind konkrete Anhaltspunkte dafür, dass mindestens ein Ehegatte sich an die Ehe gebunden fühlt und die persönlichen Beziehungen noch nicht so zerstört sind, dass von vornherein eine Versöhnung ausscheidet (Saarbr FamRZ 10, 394 zu § 614 II ZPO aF). Die bloße Möglichkeit, dass ein Ehegatte sich eines Tages darauf besinnt, verheiratet zu sein, reicht nicht aus (Hamm 17.5.78 – 5 WF 397/78, juris). Dabei handelt es sich nicht um eine Ermessensentscheidung, obwohl die Vorschrift als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist. Hält das Gericht nach freier Überzeugung die Voraussetzungen für gegeben, muss es das Verfahren aussetzen (Prütting/Helms/Helms § 136 Rz 8; MüKoFamFG/Heiter § 136 Rz 11; Saarbr FamRZ 10, 394; Ddorf FamRZ 78, 609).
Rn 4
Leben die Ehegatten allerdings schon länger als ein Jahr getrennt, darf das Verfahren nicht gegen den Widerspruch beider Ehegatten ausgesetzt werden, Abs 1 S 2. Die abweichende Überzeugung des Gerichts kann eine einverständliche Scheidung nicht verhindern (Staud/Rauscher § 1564 Rz 127b). Der Widerspruch unterliegt als Verfahrenshandlung dem Anwaltszwang, § 114 I und muss ausdrücklich erklärt werden (Prütting/Helms/Helms § 136 Rz 9; MüKoFamFG/Heiter § 136 Rz 8; FAKomm-FamR/Roßmann § 136 Rz 15). Ein nur einseitiger Widerspruch steht der Aussetzung nicht entgegen, denn er zeigt auf, dass der dem Tatbestand des § 1566 I BGB zugrunde liegende übereinstimmende Scheidungswunsch der Eheleute nicht gegeben ist. Leben die Ehegatten länger als 3 Jahre getrennt, kommt eine Aussetzung des Verfahrens gegen den Willen des ASt nicht in Betracht (Staud/Rauscher § 1564 Rz 127b; aA FAKomm-FamR/Roßmann § 136 Rz 13; Zö/Lorenz § 136 Rz 2).
III. Aussetzung auf Antrag (Abs 2).
Rn 5
Stellt der ASt einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens, darf das Gericht die Scheidung der Ehe nicht aussprechen, bevor das Verfahren ausgesetzt war. Ein Ermessensspielraum des Gerichts besteht in diesem Fall nicht. Dem Aussetzungsbegehren muss aber nicht entsprochen werden, wenn der Scheidungsantrag bereits abweisungsreif ist, weil das Scheitern der Ehe iSv § 1565 I BGB nicht konkret dargetan ist und weder die Voraussetzungen für die gesetzliche Vermutung nach § 1566 I BGB vorliegen oder aber eine Härtefallscheidung nach § 1565 II BGB erkennbar sind. In diesem Fall ist der Aussetz...