1. Allgemeines.
Rn 14
Schweigt der andere Elternteil innerhalb der gesetzten Frist zu dem Antrag oder trägt er keine Gründe vor, die der gemeinsamen Sorge entgegenstehen können und sind dem Gericht solche Gründe auch nicht anderweitig bekannt, wird nach § 1626a II 2 BGB gesetzlich vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das verfahrensrechtliche Pendant (vgl BTDrs 17/11048, 18) zu der materiell-rechtlichen Vermutung des § 1626a II 2 BGB ist § 155a III. Diese Vorschrift ermöglicht es dem Gericht (›soll‹), in einem vereinfachten Verfahren ohne mündliche Erörterung und ohne persönliche Anhörung der Eltern, wie sie für das reguläre Verfahren in § 160 I 1 vorgesehen ist, zu entscheiden. Gem Abs 3 S 2 findet § 162 keine Anwendung, sodass auch das Jugendamt weder anzuhören (vgl § 162 I) noch zu beteiligen (vgl § 162 II) ist und diesem auch kein Beschwerderecht gegen die Entscheidung zusteht (vgl § 162 III 2). Die materiell-rechtliche Vermutung schränkt mithin den in Kindschaftssachen geltenden Amtsermittlungsgrundsatz gem § 26 ein (BGH FuR 16, 576) und ermöglicht es dem Familiengericht, die gemeinsame Sorge allein auf Grundlage des Beteiligtenvortrags und unter Berücksichtigung der dem Gericht auf sonstige Weise bereits bekannten Tatsachen zu begründen (BTDrs 17/11048, 18). Sie ähnelt einer Säumnisentscheidung, beruht aber auf der gesetzlichen Vermutung des § 1626a II 2 BGB (vgl Prütting/Helms/Hammer § 155a Rz 33).
2. Voraussetzungen.
Rn 15
Das vereinfachte Verfahren kommt nur in Betracht, wenn der andere Elternteil auf den ihm zugestellten Sorgeantrag überhaupt nicht reagiert, er zwar Stellung nimmt, dabei aber keine Gründe vorträgt, die der gemeinsamen Sorge entgegenstehen können und dem Gericht solche Gründe auch sonst nicht bekannt sind. Werden dem Gericht jedoch durch Vortrag der Beteiligten oder auf sonstige Weise Gründe bekannt, die der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, ist ein Erörterungstermin zu bestimmen, § 155a IV 1. Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ist dann nicht möglich.
Rn 16
Nimmt der andere Elternteil zum Sorgeantrag Stellung, kann es uU schwierig sein, zu beurteilen, ob die vorgetragenen Gründe der gemeinsamen Sorge entgegenstehen oder nicht. Nach der Gesetzesbegründung soll es zB ohne Relevanz sein, dass die Mutter vorträgt, sie wolle lieber auch in Zukunft allein entscheiden, da sie nicht wisse, ob sie sich mit dem Kindesvater später noch genauso gut verstehe. Gleiches gilt für den Vortrag, bereits mit dem Vater eines früher geborenen Kindes schlechte Erfahrungen mit dem gemeinsamen Sorgerecht gemacht zu haben, oder wenn die Mutter eine gemeinsame Sorge allein mit der Begründung ablehnt, es bestehe keine Notwendigkeit für ein gemeinsames Sorgerecht, weil der Vater von ihr mit Vollmachten ausgestattet sei und in naher Zukunft ohnehin keine wichtigen Entscheidungen zu treffen seien (BTDRs 17/11048, 18). Diese – vom Gesetzgeber exemplarisch genannten – Gründe haben die Gemeinsamkeit, dass sie keinerlei konkrete kindbezogenen Argumente enthalten, sondern abstrakt und allg gehaltene Befindlichkeiten zum Ausdruck bringen. Solche Gründe, die einen Bezug zum konkreten Fall oder zum Wohl des gemeinsamen Kindes vermissen lassen, sind danach unbeachtlich (MüKoFamFG/Schumann § 155a Rz 23; Prütting/Helms/Hammer § 155a Rz 25; BGH FuR 16, 576). Etwas anderes muss jedoch gelten, wenn – jedenfalls im Ansatz – tatsächliche Umstände vorgetragen werden, die in Bezug zum gemeinsamen Kind, zum Eltern-Kind-Verhältnis und/oder konkret zum Verhältnis der beteiligten Eltern und somit im Zusammenhang mit der Einrichtung des Sorgerechts stehen, ein Indiz gegen die gemeinsame elterliche Sorge sein können (BGH FuR 16, 576 mwN; vgl hierzu auch Brandbg NZFam 22, 1131).
Rn 17
In diesem Fall hat das Familiengericht Erörterungstermin nach § 155 Abs 2 und 3 durchzuführen und das Jugendamt zu beteiligen. Erforderlich ist, dass sich aus den dem Gericht vorliegenden Entscheidungsgrundlagen aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte die Möglichkeit ergibt, dass die gemeinsame elterliche Sorge nicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Hinreichende Anhaltspunkte sind nicht erst dann gegeben, wenn der Tatsachenvortrag genügt, um in einer den Maßgaben der Rspr folgenden umfassenden Abwägung festzustellen, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht (BGH FuR 16, 576). Die Anforderungen an die Beachtlichkeit der vorgebrachte Einwendungen dürfen nicht überspannt werden, da nie ausgeschlossen werden kann, dass wegen der fehlenden Gewandtheit, sich schriftlich auszudrücken, auch hinter belanglos wirkenden Einwendungen ein beachtliches Anliegen stehen kann (vgl BGH FuR 16, 576; Musielak/Borth/Borth/Grandel (6. Aufl) § 155a Rz 8; Prütting/Helms/Hammer § 155a Rz 25). Ausreichend können deshalb auch Äußerungen sein, wie: ›ein wenig klarstellen‹, ›ich könnte jetzt noch so vieles schreiben‹, ›weil der (Antragsteller) nicht mit mir redet‹, ›das ich mich bei diesem Schreiben zurückhalte‹, ›das Woh...