I. Zulässigkeit der Beschleunigungsrüge (Abs 1).
1. Anwendungsbereich (Abs 1 S 1).
Rn 3
Die Vorschrift ist in den vom Vorrang- und Beschleunigungsgebot erfassten Kindschaftssachen iSv § 155 I anzuwenden und betrifft demzufolge Verfahren, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen und schließlich Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls. Das gilt auch, wenn die genannten Kindschaftssachen als Folgesachen im Scheidungsverbundverfahren bearbeitet werden, in dem sie wegen oft vielfachen und schwierigen Fragen besonders Gefahr laufen, aus dem Blickfeld zu geraten oder stark verzögert bearbeitet zu werden. Ist absehbar, dass ein Ehescheidungsverbundverfahren nicht in absehbarer Zeit einer Entscheidung zugeführt werden kann, muss zur Einhaltung des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes eine Verfahrensabtrennung erfolgen (Brandbg NJW 19, 3315; FuR 18, 261).
Rn 4
Nicht erfasst sind die weiteren Kindschaftssachen iSv § 151 Nr 4–8. Das betrifft auch Verfahren zur Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 155a, in denen der Aufenthalt des Kindes regelmäßig nicht im Streit steht (vgl KG FamRZ 13, 730) und die nicht unmittelbar, sondern lediglich aufgrund der Verweisung in § 155a II 1 dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 I unterfallen (Prütting/Helms/Hammer § 155b Rz 4). Auf Verfahren betreffend die Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung und freiheitsentziehenden Maßnahmen iSv § 151 Nr 6 und 7; sind aufgrund der Verweisung in § 167 I grds die für Unterbringungssachen Erwachsener geltenden Vorschriften der §§ 312 ff anzuwenden, sodass das Vorrang- und Beschleunigungsgebot gem § 155 I dort nicht gilt (Prütting/Helms/Hammer § 155b Rz 4; Dutta/Jacoby/Schwab/Müller § 155b Rz 2), wenngleich bei der Auslegung der Unterbringungsvorschriften die Wertungen, die in den §§ 155 ff zum Ausdruck kommen, berücksichtigt werden sollten (BGH FuR 13, 219 mwN).
Rn 5
Die Beschleunigungsrüge ist in allen Instanzen sowohl im Hauptsacheverfahren als auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung (Karlsr FuR 18, 265) statthaft. Dies korrespondiert mit der Regelung des § 155 I, da das allgemeine Vorrang- und Beschleunigungsgebot in allen Rechtszügen und in jeder Lage des Verfahrens gilt. Sie ist auch im Vollstreckungsverfahren nach §§ 88 ff statthaft. Der zugleich mit der Beschleunigungsrüge neu eingefügte § 88 III (BTDrs 18/9092, 16) erstreckt das Beschleunigungsgebot ausdrücklich auch auf Vollstreckungsverfahren, soweit es um Verfahren betreffend den Umgang mit dem Kind oder der Herausgabe einer Person geht und erklärt die §§ 155b und 155c auch für der Vollstreckung dieser Verfahren für anwendbar. Demgegenüber gilt das Vorrang- und Beschleunigungsgebot nicht für die Vollstreckung von Titeln wegen Gefährdung des Kindeswohls, soweit es nicht um die Herausgabe eines Kindes geht. Es gilt mithin unglücklicherweise nicht, wenn im Verfahren nach § 1666 BGB Titel errichtet werden, die Anordnungen nach § 1666 III Nr 1–4, IV BGB enthalten und nach § 95 I Nr 3 u 4 FamFG vollstreckt werden, was ebenfalls zeitnah erfolgen sollte (krit deshalb Bahrenfuss/Hentschel § 88 Rz 11; vgl auch Prütting/Helms/Hammer § 88 Rz 14, 18: analoge Anwendung von § 88 III auch für die Vollstreckung dieser Titel).
Rn 6
Nach Beendigung des Verfahrens kann die Beschleunigungsrüge jedoch nicht mehr erhoben werden, da ihr dann das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Sie dient allein in der Beschleunigung der Kindschaftssachen iSv § 155 I, die nach Beendigung des Verfahrens nicht mehr erreicht werden kann (BTDrs 18/9092, 17; Bahrenfuss/Schlemm § 155b Rz 6; Dutta/Jacoby/Schwab/Müller § 155b Rz 8; Schneider FamRB 16, 479; Keuter FamRZ 16, 1817; BVerfG FamRZ 18, 1761; Karlsr FuR 18, 265).
2. Rügeberechtigung (Abs 1 S 1).
Rn 7
Die Rüge kann nur von einem Verfahrensbeteiligten einer Kindschaftssache nach § 155 I erhoben werden. Das ist in Antragsverfahren der Antragsteller (§ 7 I), diejenigen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird oder die vAw oder auf Antrag zu beteiligen sind, wie zB der Verfahrensbeistand, § 158 III 2, oder das Jugendamt, das gem § 162 II zwingend in Verfahren nach § 1666, 1666 a BGB sowie auf Antrag iÜ zu beteiligen ist (›Muss-Beteiligte nach § 7 II) sowie die ›Kann-Beteiligten‹, die gem § 7 III als Beteiligte hinzugezogen werden können (insb Pflegeeltern, § 161 I). Verfahrensbeteiligte iSv Abs 1 müssen also nicht zwingend in eigenen Rechten betroffen sein. Der Verfahrensbeistand kann gem § 158 IV 5 ohne Betroffenheit in eigenen Rechten gegen die Entscheidung des Gerichts im Interesse des Kindes Rechtsmittel und demzufolge auch eine Beschleunigungsrüge einlegen. Diese Verfahrenserklärung kann er aber ohnehin aufgrund seiner eigenen Beteiligung abgeben (aA Keidel/Meyer-Holz (20. Aufl) § 155b Rz 7). Teilw wird dies für das Jugendamt trotz Beteiligung bezweifelt, da es an einer eigenen Beeinträchtigung der in Art 8 I iVm Art 6 EMRK garantierten Rechten fehle (Keidel/Meyer-Holz (20. Aufl) § 155b Rz 7; wohl auch BeckOK-FamFG/Schlünder § 155b Rz 9). Diese Auffassung ist schon mit dem insoweit eindeutige...