I. Erörterung der Kindeswohlgefährdung nach Abs 1 und Abs 2.
1. Verfahrensrechtliche Einordnung.
Rn 2
Nach der Vorstellung des Gesetzgebers bildet die Erörterung der Kindeswohlgefährdung einen eigenen Verfahrensabschnitt, der neben die Pflicht zur persönlichen Anhörung der Eltern nach § 160 I 2 und den frühen Erörterungstermin nach § 155 II tritt. Das Gericht hat die Möglichkeit, die Erörterung nach § 155 II mit dem Gespräch zur Erörterung über die Kindeswohlgefährdung zu verbinden (BTDrs 16/6308, 237). Das Gespräch zur Erörterung über die Kindeswohlgefährdung ist letztlich ein Termin ›eigener Art‹ iSv § 32. Die Abgrenzung zu einem auch in Verfahren nach § 1666 BGB anzuberaumenden frühen Erörterungstermin nach § 155 II ist nicht ganz klar, da es in Kindesschutzverfahren darum geht, zunächst gemeinsam mit den Eltern einen Weg zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zu erarbeiten. Praktisch relevant ist die Unterscheidung zwischen beiden Verfahrensabschnitten aber dann, wenn das Gericht im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens ausnahmsweise von einer Erörterung nach § 157 absieht. Der Termin nach § 155 II ist gleichwohl durchzuführen.
Rn 3
Auch die in § 160 I 2 vorgesehene Anhörung der Eltern ist von der Erörterung iSv § 157 zu unterscheiden. Sie dient in erster Linie der nach § 26 gebotenen Sachaufklärung, aber auch der Gewährung rechtlichen Gehörs. Dabei ist die Anhörung der Eltern nur ein Teil der vom Gericht zu leistenden Sachaufklärung und ist damit (auch) Voraussetzung für eine sinnvolle Erörterung, die über eine Anhörung hinausgeht (Frankf FamRZ 12, 571).
2. Erforderlichkeit eines Erörterungstermins.
Rn 4
Ein nach Abs 1 S 1 anzuberaumender Termin zur Erörterung erfolgt im Rahmen eines Verfahrens nach §§ 1666 und 1666a BGB und setzt das Vorliegen einer ›möglichen Kindeswohlgefährdung‹ voraus. Unklar ist, ab wann von einer solchen möglichen Kindeswohlgefährdung gesprochen werden kann. Die Gesetzesbegründung nimmt in diesem Zusammenhang auf die in § 8a SGB VIII geregelte Anrufung des Gerichts durch das Jugendamt Bezug (BTDrs 16/6308, 237). Der Schutzauftrag des Jugendamts setzt in § 8a I 1 SGB VIII ›gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen‹ voraus. Begreift man die Vorschrift des § 157 als das funktionale Äquivalent zu § 8a SGB VIII auf jugendhilferechtlicher Ebene (ausdr Staud/Coester § 1666, Rz 265), muss mithin zumindest ein ›Anfangsverdacht‹ in diesem Sinne gegeben sein (Prütting/Helms/Hammer § 157 Rz 5, 8; Heilmann/Heilmann § 157 Rz 1; vgl auch MüKoFamFG/Schumann § 157 Rz 5 mwN: Fälle ›an der Grenze zur Kindeswohlgefährdungsschwelle‹; ThoPu/Hüßtege § 157 Rz 2: Kindeswohlgefährdung muss ›naheliegen‹; Haußleiter/Eickelmann § 154 Rz 5; Sternal/Schäder § 157 Rz: ›unterhalb der Schwelle zur Kindeswohlgefährdung‹; ebenso BTDrs 16/6308, 237; Frankf FamRZ 10, 1094; Saarbr FamRZ 12, 1157; wohl weitergehend Dutta/Jacoby/Schwab/Zorn § 157 Rz 6: ›nur mögliche Gefährdung‹; Flemming FPR 09, 568, 571: ›weit vor einer Eingriffssituation‹).
Rn 5
Erfährt das Gericht ausnahmsweise nicht durch eine Gefährdungsanzeige des Jugendamts von einem nicht hinreichend konkreten Sachverhalt, aus dem sich eine Kindeswohlgefährdung ergeben soll, kann es zunächst in eine formlose Vorprüfung eintreten (zB bei einer anonymen Meldung); gleiches kann auch bei einer nicht hinreichend konkreten Meldung des Jugendamts gelten (vgl näher Prütting/Helms/Hammer § 157 Rz 10 ff). Davon sollte mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.
3. Keine zwingende Erörterung.
Rn 6
Die Gefährdungserörterung nach § 157 ist als Soll-Vorschrift ausgestaltet. Erfährt das Familiengericht von einer – auch nur möglichen – Kindeswohlgefährdung (idR aufgrund einer Gefahrenanzeige des Jugendamts gem § 8a II 1 SGB VIII), ist es zur eigenständigen Prüfung verpflichtet, ob gerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB geboten sind (Frankf MDR 13, 1405); es muss vAw ein Verfahren nach § 1666 BGB einleiten und grds einen Erörterungstermin anberaumen. Absehen kann es hiervon in offensichtlich unbegründeten Verfahren (BTDrs 16/6815, 12; Sternal/Schäder § 157 Rz 3; Haußleiter/Eickelmann § 157 Rz 6; Stößer FamRZ 09, 656, 659). Ein solcher Termin hat regelmäßig aber nur dann Sinn, wenn eine konstruktive Mitwirkung der Eltern an der Gefährdungsabwendung denkbar ist. Sind Eingriffe in die elterliche Sorge ohnehin dringend und unabwendbar (etwa Herausnahme des Kindes aus der Familie), ist eine Erörterung nach § 157 nicht angezeigt (Prütting/Helms/Hammer § 157 Rz 16; Stößer FamRZ 09, 656, 659). Zweifelsfragen können sich bei einer Gefährdung des noch ungeborenen Kindes stellen (Frankf FamRZ 18, 190; vgl auch Staud/Coester § 1666 Rz 22 ff).
4. Beteiligte, Anordnung des persönlichen Erscheinens.
Rn 7
Die Erörterung findet, wie auch in § 155 II und § 160 I 2 geregelt, mit den Eltern statt, deren persönliches Erscheinen gem Abs 2 S 1 (wie auch in § 155 III 1 und § 160 I 2) anzuordnen ist. Hiervon ist auch der nicht sorgeberechtigte Elternteil erfasst, der bei im Raum stehenden Maßnahmen nach § 1666 BGB gegen den anderen, allein sorgeberechtigten Elternteil im Hinblick auf § 1680 II BGB zu laden ist (Musielak/Borth/Borth/Grandel § 157 Rz 4; Pr...