I. Anwendungsbereich.
Rn 5
Es ist zu unterscheiden: Abs 1 gilt in Verfahren nach § 151 Nr 1–3, also in Verfahren, die die elterliche Sorge, das Umgangsrecht und das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes oder die Kindesherausgabe betreffen. Die Regelung gilt also nicht in den Kindschaftssachen iSv § 151 Nr 4–8; § 167 VI enthält jedoch eine Sonderregelung für Kindschaftssachen iSv § 151 Nr 6 und 7 (BTDrs 18/6985, 17).
Rn 6
Demgegenüber eröffnet Abs 2 in allen Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, die Möglichkeit, ein sog ›lösungsorientiertes Gutachten‹ in Auftrag zu geben. Erfasst sind alle Verfahren, die nicht ausschließlich vermögensrechtlicher Art sind und bei denen ein Hinwirken auf Einvernehmen möglich ist (zB MüKoFamFG/Schumann § 163 Rz 13 Fn 85). Die Vorschrift gilt grds auch im einstweiligen Anordnungsverfahren, wenngleich dort die Einholung eines Gutachtens aufgrund des vorausgesetzten Regelungsbedürfnisses nicht zwingend geboten ist (BVerfG FuR 18, 414). Sie gilt auch im Beschwerdeverfahren.
II. Bestellung des Sachverständigen (Abs 1).
1. Auswahl und Qualifikation des Sachverständigen.
Rn 7
Die Vorschrift ist in Ergänzung zu § 404 I 1 ZPO, 30 I zu sehen: Die Auswahl des Sachverständigen obliegt dem Gericht, das zugleich aber auf die den Vorgaben in Abs 1 S 1 entsprechende Qualifikation zu achten hat (näher Prütting/Helms/Hammer § 163 Rz 9c; Splitt FF 18, 51, 52).
Rn 8
Der Gesetzgeber hat als Reaktion auf die Diskussion über die Qualität von familienpsychologischen Sachverständigengutachten die Anforderungen an die Qualifikation der Sachverständigen verschärft. Mit der gesetzlichen Vorgabe einer Mindestqualifikation hat er die Erwartung verbunden, dass das Familiengericht bei der Auswahl von Sachverständigen auch prüft, ob der Sachverständige entsprechende zusätzliche Qualifikationen und Berufserfahrung erworben hat (BTDrs 18/6985, 17). Über das Kriterium der Geeignetheit wird vorgegeben, dass das Gericht für die konkreten Beweisfragen des Einzelfalls stets einen fachlich geeigneten Sachverständigen zu beauftragen hat (BTDrs 18/6985, 17).
Rn 9
Die Soll-Vorschrift trägt den Bedürfnissen der Praxis bei der Auswahl geeigneter Sachverständiger Rechnung und berücksichtigt, dass es entsprechend fortgebildete und berufserfahrene Sachverständige noch nicht flächendeckend in ausreichender Anzahl gibt (BTDr 18/6985, 17). Bestellt das Familiengericht einen Sachverständigen, der nicht über die in Abs 1 S 1 genannte Qualifikation verfügt, muss dies als Ausnahmefall besonders begründet werden (BTDrs 18/6985, 17; Sternal/Schäder § 163 Rz 9; MüKoFamFG/Schumann § 163 Rz 4; BGH FuR 12, 478 zu § 280 I 2).
Rn 10
Verfügt der in den Blick genommene Sachverständige ›nur‹ über eine pädagogische oder sozialpädagogische Qualifikation, muss das Gericht gem Abs 1 S 2 Nachweise über ausreichende diagnostische oder analytische Kenntnisse durch eine anerkannte Zusatzqualifikation einfordern und die so festgestellte Qualifikation in der Entscheidung ›gehaltvoll darlegen‹ (Saarbr FuR 19, 108). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die pädagogische und sozialpädagogische Berufsqualifikation nicht nur in Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung, sondern uU auch in anderen Kindschaftssachen für ein den verfassungsrechtlichen Anforderungen (BVerfG FamRZ 15, 112) genügendes Gutachten nicht ausreichen könnte, wenn erforderliche diagnostische und analytische Kenntnisse fehlen. Die zu fordernde Zusatzqualifikation hat sich auf den Bereich der psychologischen Diagnostik und Methodenlehre (zB Kenntnisse psychodiagnostischer Methoden und Verfahren, Fachwissen in multimodalem Vorgehen, hypothesenorientierter Diagnostik und Prozessdiagnostik) sowie Analyse (zB Fähigkeit prognostischen Einschätzens, diagnostischen Urteilens) beziehen (BTDrs 18/9092, 20). Eine langjährige Berufserfahrung in der Erstellung familiengerichtlicher Sachverständigengutachten, ausreichende diagnostische und analytische Kenntnisse durch Zusatzqualifikationen (insb Zertifikat ›Sachverständigen-Gutachten für Familiengerichte‹ sowie 3-jährige psychoanalytisch orientierte Supervisionsausbildung), eine umfangreiche Beratungspraxis können eine entsprechende Zusatzqualifikation sein (ZweibrFamRZ 18, 199: Diplom-Sozialarbeiter).
Rn 11
Die Eltern sollten zur beabsichtigten Einholung eines Gutachtens gehört werden, denn die entstehenden Kosten können als gerichtliche Auslagen nach FamGKG-KV Nr 2005 zusätzlich zu den allgemeinen Verfahrenskosten erhoben werden und bewegen sich regelmäßig im vierstelligen Bereich. Zudem kann die Bereitschaft der Eltern zur Mitwirkung an einer Begutachtung vorab geklärt werden (MüKoFamFG/Schumann § 163 Rz 5; Prütting/Helms/Hammer § 163 Rz 9i).
Rn 12
Nach § 30 I, § 404 II ZPO können die Verfahrensbeteiligten darüber hinaus vor der Beauftragung zur Person des Sachverständigen gehört werden, damit mögliche Einwände frühzeitig geltend gemacht werden können. Die Anhörung ist in das Ermessen des Gerichts gestellt; im Hinblick auf die Akzeptanz des Gutachters und den Umstand, dass das Gericht seine Entscheidung ggf auf das erstellte Gutachten stützt, ...