Rn 20
In Kindschaftssachen, die die Person des Kindes betreffen, kann das Gericht den Sachverständigen auch damit beauftragen, bei der Erstellung des Gutachtens auf die Erzielung eines Einvernehmens hinzuwirken und die Eltern damit zur Wahrnehmung ihrer elterlichen Verantwortung bei der Regelung der elterlichen Sorge und des Umgangs zu bewegen (BTDrs 16/6308, 242; ›lösungsorientiertes Gutachten‹: BTDrs 16/6308, 169). Gefordert wird keine staatlich verordnete Familientherapie, wohl aber eine die Exploration und Gutachtenerstellung begleitende Beratung und Unterstützung der Eltern (Staud/Coester § 1671 Rz 304) mit dem Ziel der Konfliktminderung und einer Einstellungsänderung bei den Eltern im Gegensatz zur herkömmlichen Statusdiagnostik (psychologische Begutachtung lediglich als Entscheidungshilfe für das Gericht), Stößer FamRZ 09, 656, 663.
Rn 21
Auch im Gutachten eines Sachverständigen, der auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll, sind die für das Kindeswohl maßgeblichen Kriterien umfassend abzuwägen (Celle ZKJ 12, 446). Der Sachverständige wiederum ›soll‹ auf das Einvernehmen hinwirken, er ›muss‹ es also nicht. Stellt er fest, dass bei den Beteiligten keine Problemeinsicht, Hilfeakzeptanz und Veränderungsbereitschaft vorhanden ist, muss er den Versuch, mit den Beteiligten eine Lösung zu erarbeiten, abbrechen und dem Gericht ein Statusgutachten iSv Abs 1 erstellen (Balloff FPR 11, 12; Sternal/Schäder § 163 Rz 14). Wünschen die Beteiligten oder auch nur ein Beteiligter trotz einer Anordnung nach § 163 II eine familiengerichtliche Entscheidung, so ist dies zu respektieren. Das Sich-Einlassen auf einen Interventionsprozess ist freiwillig (Stößer FamRZ 09, 656, 663; Salzgeber FamRZ 08, 656).
Rn 22
Letztlich führt der Auftrag zur Erarbeitung eines lösungsorientierten Gutachtens zu einer Verlagerung des zunächst gem § 156 I 1 dem Gericht selbst erteilten gesetzlichen Auftrags, auf ein Einvernehmen hinzuwirken, auf den Sachverständigen (wie auch § 158 IV 3 eine solche Verlagerung auf den Verfahrensbeistand vorsieht). Der Sachverständige hat zu diagnostizieren und zu intervenieren (Vogel FF 14, 399; Salzgeber FPR 13, 299, 300), soll also auch beratend tätig werden und die Eltern zunächst über die negativen psychologischen Auswirkungen einer Trennung auf alle Familienmitglieder aufklären und sodann versuchen, bei den Eltern Verständnis und Feinfühligkeit für die von den Interessen der Erwachsenen abweichenden Bedürfnisse und für die psychische Lage des Kindes zu wecken. Gelingt dies, kann er mit den Eltern ein einvernehmliches Konzept zum zukünftigen Lebensmittelpunkt des Kindes und zur Gestaltung des Umgangs erarbeiten (BTDrs 16/6308, 242).
Rn 23
Die Beauftragung des Sachverständigen mit 2 grundlegend verschiedenen Tätigkeiten ist nicht unproblematisch (umf Prütting/Helms/Hammer § 163 Rz 17; MüKoFamFG/Schumann § 163 Rz 15; BeckOK FamFG/Schlünder § 163 Rz 22). Die Vermischung von Therapie und Diagnose trägt die Gefahr von Verzerrungen in sich, was zur Ablehnung des Sachverständigen nach § 30 I iVm § 406 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit führen könne (Ernst FPR 09, 345, 347; Greger FPR 10, 443; Rohmann NZFam 15, 793; Vogel FamRB 17, 186). Scheitert die Einigung, muss der Gutachter sein Gutachten iSv Abs 1 gleichwohl erstellen, was einen Rollenwechsel ›vom einigungsfördernden Akteur zum distanzierten Diagnostiker‹ erfordert (MüKoFamFG/Schumann § 163 Rz 15 mwN). Das kann auch dazu führen, dass der Sachverständige seine im Rahmen des Vermittlungsversuchs gewonnenen Erkenntnisse im Gutachten offenlegen muss (Prütting/Helms/Hammer § 163 Rz 17 mwN; MüKoFamFG/Schumann § 163 Rz 15). Schließlich wird diskutiert, in welcher Reihenfolge der mit der Erstellung eines lösungsorientierten Gutachtens beauftragte Sachverständige vorgehen soll (MüKoFamFG/Schumann § 163 Rz 17 mwN).
Rn 24
Der Sachverständige ist nicht befugt, eigenmächtig ohne ausdrücklichen gerichtlichen Auftrag hierzu, Interventionstätigkeiten zu entfalten (Vogel FF 14, 399; Prütting/Helms/Hammer § 163 Rz 19). Das Hinwirken auf Einvernehmen gehört von vornherein nicht zu seinem vergütungsfähigen Auftrag und wird erst entlohnt, wenn das Gericht ihm den zusätzlichen Auftrag ausdrücklich erteilt. Verfolgt der Sachverständige eigenmächtig ohne gerichtliche Anordnung die Begutachtung auf der Grundlage eines lösungsorientierten Ansatzes, begründet dieses Verhalten die Besorgnis der Befangenheit (Naumbg FamRZ 12, 657; Vogel FamRB 17, 186, 189).