Gesetzestext
(1) In Verfahren nach § 151 Nummer 1 bis 3 ist das Gutachten durch einen geeigneten Sachverständigen zu erstatten, der mindestens über eine psychologische, psychotherapeutische, kinder- und jugendpsychiatrische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation verfügen soll. Verfügt der Sachverständige über eine pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation, ist der Erwerb ausreichender diagnostischer und analytischer Kenntnisse durch eine anerkannte Zusatzqualifikation nachzuweisen.
(2) Das Gericht kann in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, anordnen, dass der Sachverständige bei der Erstellung des Gutachtens auch auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll.
A. Allgemeines.
Rn 1
§ 29 sieht für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und damit auch für Kindschaftssachen vor, dass tatsächliche Entscheidungsgrundlagen im Wege des Freibeweises ermittelt werden. § 30 I eröffnet dem Gericht aber die Möglichkeit, nach pflichtgemäßem Ermessen eine förmliche Beweisaufnahme durchzuführen, zu der auch die Einholung eines Gutachtens gehört; dabei sind die in den §§ 402–414 ZPO enthaltenen Vorschriften über den Sachverständigenbeweis auch im fG-Verfahren anwendbar; diese Bestimmungen werden durch § 163 für die dort genannten Kindschaftsverfahren ergänzt.
Rn 2
Die Vorschrift wurde aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des FamFG sowie zur Änderung des SGG, der VwGO, der FGO und des GKG (vom 11.10.16, BGBl I, 2222) mWz 15.10.16 geändert. Hintergrund dieser Neuregelung war die zunehmend angezweifelte Unabhängigkeit und Neutralität gerichtlich bestellter Sachverständiger; zudem wurde öffentlich beanstandet, dass gerade familienpsychologische Gutachten teilw nicht die erforderliche Qualität aufwiesen und schließlich mit der Einholung eines Sachverständigengutachtens erhebliche Verfahrensverzögerungen einhergingen, die die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes infrage stellten. Das wesentliche Ziel der Neuregelungen war es dementsprechend, durch größere Transparenz im gerichtlichen Auswahlverfahren das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Neutralität der Gutachten zu erhöhen und die Qualität der Sachverständigen sicherzustellen (vgl BTDrs 18/6985, 10).
Rn 3
Die bis dahin in Abs 1 enthaltene Regelung über die (obligatorische) Fristsetzung für den Sachverständigen findet sich nun in dem gem § 30 I anwendbaren § 411 I ZPO, der bis dahin lediglich eine in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellte Fristsetzung (›soll‹) vorsah. Der neugefasste Abs 1 enthält nun Mindestvorgaben zur Berufsqualifikation und soll zu einer fachlich fundierten Sachverständigentätigkeit und damit zugleich zu einer Qualitätsverbesserung in der Begutachtung führen (BTDrs 18/6985, 17); in Verfahren zur Unterbringung Minderjähriger und in Betreuungs- und Unterbringungsverfahren (§§ 167 VI, 280 I und 321 I) war eine solche Mindestvorgabe zur Qualifikation der Sachverständigen bereits enthalten. Abs 2 eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, ein lösungsorientiertes Gutachten in Auftrag zu geben und wurde unverändert beibehalten. Abs 3 (keine Zeugenvernehmung des Kindes) wurde gestrichen und in die neu eingefügte Vorschrift des § 163a übernommen.
Rn 4
In diesem Zusammenhang sind auch die gleichzeitig vorgenommenen Änderungen der Vorschriften über den Sachverständigenbeweis der ZPO in den Blick zu nehmen. Dies betrifft insb die Anhörung der Beteiligten zur Person des Sachverständigen (§ 404 II ZPO), die Pflicht des Sachverständigen zur Prüfung der gesetzten Bearbeitungsfrist (§ 407a I ZPO), seine Pflicht, auf möglicherweise bestehende Interessenkonflikte hinzuweisen (§ 407a II ZPO), die erleichterte Möglichkeit der Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Sachverständigen bei Überschreitung der gesetzten Frist (§ 411 I, II ZPO) und schließlich die Möglichkeit der Anordnung der schriftlichen Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens (§ 411 III ZPO).
B. Die Vorschrift im Einzelnen.
I. Anwendungsbereich.
Rn 5
Es ist zu unterscheiden: Abs 1 gilt in Verfahren nach § 151 Nr 1–3, also in Verfahren, die die elterliche Sorge, das Umgangsrecht und das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes oder die Kindesherausgabe betreffen. Die Regelung gilt also nicht in den Kindschaftssachen iSv § 151 Nr 4–8; § 167 VI enthält jedoch eine Sonderregelung für Kindschaftssachen iSv § 151 Nr 6 und 7 (BTDrs 18/6985, 17).
Rn 6
Demgegenüber eröffnet Abs 2 in allen Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, die Möglichkeit, ein sog ›lösungsorientiertes Gutachten‹ in Auftrag zu geben. Erfasst sind alle Verfahren, die nicht ausschließlich vermögensrechtlicher Art sind und bei denen ein Hinwirken auf Einvernehmen möglich ist (zB MüKoFamFG/Schumann § 163 Rz 13 Fn 85). Die Vorschrift gilt grds auch im einstweiligen Anordnungsverfahren, wenngleich dort die Einholung eines Gutachtens aufgrund des vorausgesetzten Regelungsbedürfnisses nicht zwingend geboten ist (BVerfG FuR 18, 414). Sie gilt a...