I. Anwendungsbereich.
Rn 3
Abs 1 gilt für alle gesetzlichen Fristen, wie Begründungsfristen für Rechtsmittel (Beschlussempfehlung und Begründung des BT-RA zu § 17 RegE in BTDrs 16/9733, S 288). Weil in den Kernverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Notfristen nicht vorgesehen sind, ist der Anwendungsbereich nicht allzu groß (Maurer FamRZ 09, 465, 473). Nicht anwendbar ist Abs 1 auf Ausschlussfristen, richterliche Fristen (Bumiller/Harders/Schwamb/Bumiller § 17 Rz 5) und Widerrufsfristen für Vergleiche. Die Anforderungen zur Gewährung einer Wiedereinsetzung dürfen nicht überspannt werden und sind mit besonderer Fairness zu handhaben, wenn die Fristversämnis auf Fehlern des Gerichts beruht. Anderenfalls ist der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren aus Art 2 Abs 1, 20 Abs 3 verletzt (BVerfG Beschl v 4.9.20 – 1 BvR 2427/19, juris).
II. Antragsberechtigte.
Rn 4
Die Antragsberechtigung ergibt sich aus Abs 1 (Beteiligte und ihre gesetzliche Vertreter, Dritte), für die weiteren Formalien (Frist, Form, Inhalt) gilt § 18.
III. Unverschuldete Fristversäumnis.
Rn 5
Abs 1 setzt bei der Fristversäumnis ein fehlendes Verschulden voraus. Dies ist bei unabwendbaren Zufällen (Naturereignis, Unfall) und für jedes Ereignis zu bejahen, das die rechtzeitige Fristwahrung verhindert. Dabei ist unerheblich, ob die Ursache in der Sphäre des Beteiligten liegt (Bumiller/Harders/Schwamb/Bumiller § 17 Rz 8). Die Versäumung der Frist muss auf den unverschuldeten Umständen beruhen.
Rn 6
Das Verschulden fehlt, wenn der Beteiligte bei Anwendung der unter Berücksichtigung der konkreten Lage erforderlichen und ihm vernünftigerweise zuzumutenden Sorgfalt die Frist nicht wahren konnte. Auch Rechtsirrtümer und fehlende Rechtskenntnis können einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wobei die Anforderungen an die Kenntnisse rechtlicher Laien niedriger anzusetzen sind als an die von Rechtsanwälten, bei denen es auf die für eine Prozessführung erforderliche und übliche Sorgfalt ankommt. Das Ausnutzen einer Frist bis zum letzten Tag erhöht die Sorgfaltspflicht Bumiller/Harders/Schwamb/Bumiller § 17 Rz 14). Eine die Betreuungsbedürftigkeit begründende psychische Erkrankung des Betroffenen stellt alleine noch keinen Grund für eine Wiedereinsetzung dar (BGH MDR 20, 1076, 1077 [BGH 15.07.2020 - XII ZB 78/20]).
Rn 7
Das Verschulden eines gesetzlichen bzw bevollmächtigten Vertreters ist dem Beteiligten zuzurechnen. Die Übertragung der Fristenkontrolle auf konkret bestimmtes, geschultes, zuverlässiges und sorgfältig überwachtes Personal ist zulässig; deren Fehler werden dem Prozessbevollmächtigten nicht zugerechnet.
IV. Fehlende Rechtsbehelfsbelehrung.
Rn 8
Abs 2 regelt die Folgen einer unterbliebenen bzw fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung und ergänzt § 39 (Maurer FamRZ 09, 465, 467). Das Gesetz vermutet aus Gründen des Vertrauensschutzes, dass Beteiligte, die keine Rechtsbehelfsbelehrung erhalten haben, ohne Verschulden an der Einhaltung der Rechtsbehelfsfrist gehindert waren (Begr zu § 17 RegE in BTDrs 16/6308, S 183; BGH MDR 23, 800; Oldbg RdL 20, 181 ff). Die Versagung der Wiedereinsetzung verletzt in solchen Fällen den Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren aus Art 2 Abs 1, 20 Abs 3 (BVerfG Beschl v 4.9.20 – 1 BvR 2427/19, juris). Die Ursächlichkeit zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung kann fehlen, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung offenbar unrichtig ist und nach dem Kenntnisstand eines Rechtsanwalts nicht einmal den Anschein der Richtigkeit hat (BGH VersR 23, 1316 f).