I. Grundlagen.
Rn 2
Die Bedeutung der Amtsermittlung besteht darin, dass das Gericht ohne jede Bindung an Behauptungen und Beweisanträge der Beteiligten die entscheidungserheblichen Tatsachen ermitteln und in das Verfahren einführen kann. Die Pflicht des Gerichts zur Amtsermittlung wird in ihrem Umfang und Inhalt durch die Anträge der Beteiligten (im Falle eines Antragsverfahrens) und den Verfahrensgegenstand begrenzt. Das Gericht muss nicht jeder denkbaren Möglichkeit nachgehen. Außerhalb des jeweiligen Verfahrensgegenstandes endet grds die Entscheidungsmöglichkeit des Gerichts und damit zugleich seine Pflicht zur Amtsermittlung. Für die Beteiligten ergibt sich aus der Amtsermittlungspflicht des Gerichts, dass es keine Behauptungslast und keine subjektive Beweislast gibt. Wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes kann es im Bereich der fG auch keine Präklusion verspäteten Vorbringens geben. Weiterhin gibt es aus diesem Grund in der fG keine Anerkenntnis-, Verzichts- und Versäumnisentscheidungen.
II. Gegenstand der Amtsermittlung.
Rn 3
Gegenstand der Amtsermittlung können entscheidungserhebliche Tatsachen, Rechtssätze sowie Erfahrungssätze sein. Zu den Tatsachen im Einzelnen vgl P/H/Prütting Rz 15–17. Für die Ermittlung von Rechtssätzen gilt § 293 ZPO (BGH FamRZ 15, 1180; 17, 1209; aA Sternal/Sternal Rz 26). Die Amtsermittlung erfasst auch die Ermittlung von Erfahrungssätzen, Verkehrssitten und Handelsbräuchen.
III. Umfang der Ermittlung.
Rn 4
Der Amtsermittlungsgrundsatz wird dadurch geprägt, dass das Gericht die Verantwortung dafür trägt, dass die gesamten Entscheidungsgrundlagen erfasst werden. Das Gericht muss alle gebotenen Ermittlungsansätze ausschöpfen (BGH FamRZ 10, 720). Es muss dabei die jeweils am Verfahren Beteiligten anhören und kann sich nicht nur auf Mitteilungen von dritter Seite beschränken (BGH FamRZ 11, 285). Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, allen nur theoretisch denkbaren Möglichkeiten nachzugehen und hierzu Ermittlungen anzustellen. Es ist auch nicht verpflichtet, Ermittlungen ›ins Blaue‹ anzustellen. Zu den regelmäßig erforderlichen Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung gehört die persönliche Anhörung des Betroffenen und die ärztliche Untersuchung des Betroffenen (BGH FamRZ 23, 1748).
Rn 5
Soweit die Beteiligten Beweisanträge stellen, ist zu beachten, dass es ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf den Beweis gibt. Dieses Recht stützt sich auf den Justizgewährungsanspruch und damit auf das Rechtsstaatsprinzip sowie auf Art 6 I EMRK. Daraus lässt sich entnehmen, dass Beweisanträge der Beteiligten grds möglich und zulässig sind. Im Rahmen einer Amtsermittlung dienen solche Anträge dem Gericht als Anregung zur Überprüfung eigener Ermittlungen. Problematisch ist die Frage, ob das Gericht einen Beweisantrag ablehnen kann. Eine Pflicht des Gerichts zur Beweiserhebung besteht nicht, wenn der Antrag vollkommen unsubstanziiert ist oder wenn er sich in seiner völlig unbestimmten Art als ein Versuch darstellt, unbekannte Tatsachen zu ermitteln oder eine andere Person auszuforschen. Ein weiterer Grund zur Ablehnung einer Beweiserhebung durch das Gericht ist es, wenn der Beweiserhebung ein Beweisverbot entgegensteht oder wenn die unter Beweis gestellte Tatsache völlig unerheblich ist. Weiterhin kommt als Ablehnungsgrund auch die vollkommene Untauglichkeit oder Unerreichbarkeit des Beweismittels in Betracht. Schließlich kommt die Ablehnung einer Beweiserhebung durch das Gericht in Betracht, wenn die geltend gemachte Tatsache nicht oder nicht mehr beweisbedürftig ist. Eine Beweisbedürftigkeit scheidet insbesondere dann aus, wenn die Tatsache offenkundig ist (§ 291 ZPO), wenn die Tatsache vom Gericht bereits als erwiesen angesehen wird oder wenn die behauptete Tatsache als wahr unterstellt werden kann.
IV. Mitwirkung der Beteiligten.
Rn 6
Der Grundsatz der Amtsermittlung wird durch die in § 27 vorgesehene Mitwirkung der Beteiligten ergänzt, aber nicht eingeschränkt oder gar ersetzt.
V. Art der Ermittlungen.
Rn 7
Das Gericht hat seine Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen durchzuführen. Das Gesetz schafft hierfür die Möglichkeit des Freibeweises (§ 29) oder eine Beweisaufnahme nach den Regeln der ZPO, also den Strengbeweis (§ 30). Im Einzelnen kommen insbesondere eine Anhörung der Beteiligten oder von Auskunftspersonen in Betracht, ferner die Beiziehung von Akten und amtlichen Unterlagen.